Überwindung der kolonialen Übergriffigkeit

Zu einem herausfordernden Thema hat Nadine Gatzweiler, eine Begleiterin von Strassenexerzitien, ihre Arbeit im Master-Studiengang Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen (IMIB) an der Universität Osnabrück abgegeben:

Kontrapunktisches Lesen von Differenz und Hybridität:
Eine Schulbuchforschung zu Imperialismus, Widerstand und Dekolonialisierung

Wie schon der Titel ahnen lässt: ein wissenschaftliches Werk. In einer etwas einfacheren Sprache wird auf den ersten beiden Seiten das Anliegen erklärt. In einem Schulbuchvergleich – französisch geschriebene Schulbücher in Frankreich und in Afrika – spürt Nadine Gatzweiler dem versteckten Kolonialismus (dem eurozentrischen Blick, der die eigenständige Kultur, Organisationsfähigkeit, … der Menschen in Afrika leicht übersieht) nach und öffnet die Augen für die versteckte strukturelle Übergriffigkeit in unserem Alltag. Eine anregende, machmal mühsame Lektüre, die zu einer Übungsstunde werden kann, die afrikanisch-europäischen Beziehungen von beiden Seiten zu sehen.

Straßenexerzitien in der Großstadt

09.11.2014 Versteckspiel mit Gott

Von Rainer Schildberger

Raus auf die Strasse. An Orte der Ausgrenzung, die hier heilige Orte genannt werden. Dorthin, wo es weh tut. Psychiatrie, Gefängnis, Babyklappe. Aber auch Bahnhof, Hochhaus oder Friedhof.


Obdachloser zieht sein Gepäck am Bahnhof hinter sich her
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Aufmerksamkeit gegenüber dem Ort und den Menschen aufbringen. Auf Augenhöhe kommen mit Menschen am Rand der Gesellschaft. Das Menschliche und das Göttliche in ihnen (wieder)entdecken. Sich zehn Tage lang treiben und führen lassen, von den Dingen, die dabei im Inneren hochkommen und die von Außen scheinbar zufällig auftauchen. Und in schwierigen Situationen einfach sagen: Entschuldigen Sie, ich suche Gott, können Sie mir dabei helfen? Die Reaktionen aushalten. Mit den Antworten weitergehen. Das ist die Idee der Straßenexerzitien. Autor Rainer Schildberger ist ihr gefolgt. Er erzählt von ungewöhnlichen Erfahrungen mit Menschen, sich selbst und Gott auf der Strasse.

(Übernahme vom SWR)

Redaktion: Christina-Maria Purkert

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Papst zum Reformationsgedenken eingeladen

8. November 2014

Die evangelische Kirche hat Papst Franziskus zu einer gemeinsamen Feier des Reformationsjubiläums in drei Jahren eingeladen. Das Gedenken an den Beginn der Reformation durch Martin Luther 1517 sei ein Anlass, „mit mehr Klarheit und Nachdruck unsere Einheit in Christus vor der Welt zu bezeugen.“ Das sagte der ehemalige Vorsitzende des Lutherischen Weltbundes, Christian Krause, bei einer Begegnung mit Franziskus am Freitag im Vatikan. „Wir möchten das gern gemeinsam mit Ihnen im Zeichen der Liebe Gottes feiern“, sagte Krause weiter. Dies solle ein Zeichen für alle Christen weltweit sein. Der frühere Braunschweiger Landesbischof rief den Papst auf, „mit uns auf dem Weg zu bleiben, wie auch wir an Ihrer Seite bleiben“. (kna/rv)

Hören Sie hier den entscheidenden Auszug aus Krauses Rede  

Interreligiöses Friedensgebet

Mündigkeit bewahren und zu Verantwortung stehen

Als Gesellschaft wollen wir einander Rechte und Schutz gewähren, diese sind festgehalten in Gesetzen. Nun beobachten wir in letzter Zeit immer häufiger, dass die Gewährung und der Zugang zu diesen grundlegenden Rechten in Deutschland, Europa aber auch in anderen Staaten an private Unternehmen übergeben werden.

Altenheime und Krankenhäuser werden von Betreiberfirmen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt. Schutz und Hilfe bei Unfällen kommt immer öfter von privaten Dienstleistern.

Verwaltungen übergeben die Verantwortung für Gemeindezentren und Flüchtlingsunterkünfte und ersetzen sie durch Verträge mit Betreiberfirmen. Die Verantwortung für Flüchtlingsheime, Übergangsunterkünfte und auch das Abschiebegefängnis am Berliner Flughafen wurden und werden an Vertragspartner ausgelagert.

Grenzsicherung ist ein anderes Beispiel für dieses Vorgehen. — Weiterlesen

Andrea Stölzl: Fotos eines inneren Weges

Zehn Tage aufmerksamer werden ist das Ziel von Geistlichen Übungen (Exerzitien) auf der Straße, die eine Berliner Gruppe Ordensleute gegen Ausgrenzung in einigen Städten anbietet: Mehr Achtsamkeit für das Leben in der jeweiligen Umgebung und in der eigenen Person. Auf einem Spielplatz oder Friedhof, am Treffpunkt von Drogenabhängigen, in einer Suppenküche oder einer Gedenkstätte des Widerstandes durchlaufen die Übenden einen je eigenen überraschenden Prozess. Sie stoßen von ihren Herzen geführt auf Orte und Botschaften – das kann durch eine Werbetafel, ein Klingelschild, einen Gruß oder ein Gespräch geschehen -, die sie aufwühlen, ihnen die Schuhe ausziehen und sie ins Staunen versetzen. „Andrea Stölzl: Fotos eines inneren Weges“ weiterlesen

Radikale Demut ist Liebe

Liebe Freunde,

im aktuellen JESUITEN-Heft „Radikal“ wurde ein Beitrag von mir veröffentlicht: „Radikale Demut ist Liebe“. In meiner Diplomarbeit ging es um Demut in den Exerzitien. Der Artikel ist die Kurzfassung davon. Er steht auf den Seiten 6-7. Auch die anderen Artikel zum Thema „Radikal“ in dem Heft sind sehr lesenswert:

Download hier

Die Heftchen liegen – wie ihr wisst kostenlos – in allen Jesuitenkirchen und sonstigen Orten der Jesuiten aus, und man kann das Heftchen kostenlos abonnieren. Spenden kann der Orden auch gut gebrauchen.

Herzliche Grüße
Matthias Alexander Schmidt

Ökumene der Märtyrer

Klaus Mertes SJ

In seiner Enzyklika „Tertio Millennio Adveniente“ schreibt Johannes Paul II.: „Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die Gemeinschaft der Heiligen spricht mit lauterer Stimme als die Urheber der Spaltung.“ (Nr. 37) Wenn das so ist – und es ist ja so –, warum wird dann im Land der Reformation nur so leise darüber gesprochen, dass in demselben Land, „Gott unter den Getauften die Gemeinschaft unter dem höchsten Anspruch des mit dem Opfer des Lebens bezeugten Glaubens“ aufrecht erhielt (vgl. Ut unum sint, Nr. 84). Wie kann man auf 1517 zurückblicken, ohne sich den Blick durch 1944/45 verstellen zu lassen?

Kurze Erinnerung an das besonders markante Beispiel der Märtyrer-Gefährtenschaft von Alfred Delp SJ und Helmuth J. von Moltke: Gemeinsam standen sie am 10. Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof, der sie zum Tode verurteilte: da man ihnen nichts anderes nachweisen konnte als dies, dass sie miteinander im Kreisauer Kreis gesprochen hatten. Was die Gefährten aber am Prozessverlauf überraschte, war: Der Anklagepunkt wurde dahingehend präzisiert, dass sie als Christen miteinander über die Zukunft Deutschlands konferiert hatten. Seiner Frau Freya schreibt Moltke: „Und dann wird dein Wirt [„Wirt“ ist die übliche Selbstbezeichnung Moltkes in den Briefen an seine Frau] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das ist alles ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen –, sondern als Christ und als gar nichts anderes … Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist Dein Wirt ausersehen gewesen: All die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und er fügt in eindrucksvoller Souveränität hinzu: „Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a. gemacht haben, und was b. sich lohnt.“

Das Jubiläum 2017 wäre eigentlich ein Anlass, diese beiden Texte radikal ernst zu nehmen. Eine „gewaltige Aufgabe“ entdeckt Moltke. Es ist nicht mehr die Aufgabe, Deutschland nach dem Krieg wieder aufzubauen, sondern die noch größere, die Konfessionsgrenzen durch das Martyrium zu überschreiten, letztlich also: Die Kirche neu aufzubauen. Dazu sieht er sich rückblickend „ausersehen“. Das ist biblischer Sprachstil, „passivum divinum“. Moltke, der mit seinen Gefährten in der Gefangenschaft intensiv die Bibel gelesen hat, kennt die Sprache der Bibel. Er deutet sein Todesurteil geschichtstheologisch: Gott handelt in diesem Prozess selbst. Er hat Moltke „ausersehen“. Er gibt den ganzen Jahren vorher bis hin zum Prozess„nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und dieser Sinn heißt: Ökumene. Für Moltke „lohnt“ es sich, dafür zu sterben. Das ist der innere Friede, die „ignatianische“ Tröstung im Heiligen Geist, welche die theologische Erkenntnis Moltkes bestätigt.

Glauben wir als Katholiken und Protestanten heute das, was Moltke da sagt? Wenn wir es glauben, dann hat das Konsequenzen. Dann ist das, was am 31.10.1517 in Wittenberg seinen sichtbaren Ausgang nahm, am 10.1.1945 in Berlin schon von Gott her überwunden worden. Wie kann man dann stehen bleiben und nicht eilends Schritte auf die volle Communio hinmachen wollen? Die Ökumene der Märtyrer jedenfalls ist die eigentliche theologische Herausforderung an die Christenheit heute.

Zuerst publiziert in  in Jesuiten 2/2014