Durch seine Wunden sind wir geheilt
Von Marlies Reulecke
„Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ (2 Kor 12,10)
Bei meinen Aufenthalten in Afrika fasziniert es mich immer wieder, selbst in den schwächsten und vom Leid geplagtesten Frauen eine ungeahnte Stärke zu entdecken, eine Würde, die ihnen keiner nehmen kann. Eine dieser Frauen ist Salome.
Sie lebt als Witwe in einem kleinen Ort im Niger, eines der ärmsten Länder dieser Erde. Sie gehört zur Minderheit der Christen in diesem islamischen Land.
Salome ist unendlich stolz darauf, dass ihre fünf Kinder alle das Abitur gemacht haben und einige nun studieren bzw. ihre Ausbildung abgeschlossen haben.
In der HIV-Abteilung des örtlichen Krankenhauses verwaltet sie die Krankenakten, aber nebenbei berät sie auch die Patienten und steht ihnen in ihrer Krankheit bei. Sie ist der Mittelpunkt der Abteilung, die „Mutter“, die eine Atmosphäre der Geborgenheit vermittelt. Sie ist dazu bestens qualifiziert, nicht weil sie eine langjährige Ausbildung vorzuweisen hat, sondern weil sie selbst durch Leid gegangen ist, ohne dabei bitter zu werden. Von ihrem Mann mit HIV infiziert, empfing sie zu einem Zeitpunkt, als im Niger noch nicht an eine Therapie zu denken war, das Todesurteil, als man ihr mitteilte, dass auch sie das Virus in sich trägt.
Nicht zu verbittern, ging nur im Vertrauen auf Gott, im Empfangen des Trostes, den nur Er spenden kann. Das ihr zugefügte Leid hat sie für andere empfindsamer gemacht. Sie nimmt wahr, wo Hilfe benötigt wird.
So hat sie einen Kreis für Witwen gegründet, indem sie sich gegenseitig unterstützen und füreinander beten. Als ihre Schwester im Kindbett starb, nahm sie deren Baby ganz selbstverständlich auf und zieht es nun groß wie ihr eigenes Kind.
Aber der Weg dorthin war steinig. Als Frau hatte sie in ihrer Ehe nichts zu sagen. Sie hasste es, wenn ihr Mann abends wegging, ahnte sie doch, was dann ablief. Aber sie hatte kein Recht, ihm zu verbieten, sich in Bars mit Kollegen und Freunden zu treffen. Ist es doch das, was Männer eben tun. Als AIDS sich auch im Niger anfing auszubreiten, gehörte sie zu den weniger ängstlichen Frauen und schlug ihrem Mann vor, doch wenigsten Kondome mitzunehmen. Damit war sie wirklich mutig, denn ein anderer Mann hätte sie für diese Unverschämtheit verprügelt. Doch ihr Mut hat ihr nicht genutzt, ihr Mann brachte das Virus mit ins Ehebett. Das Benutzen von Kondomen zu Hause konnte sie nun wirklich nicht einfordern.
Und dann wurden beide mit der brutalen Realität konfrontiert. Sie hatte immerhin Glück, da ihr Mann die Schuld auf sich nahm und sie nicht mit der Behauptung, dass sie ihn angesteckt hätte, aus dem Haus warf. Er hat sie sogar um Vergebung gebeten, erwartete diese aber sofort, denn als Christin sei sie ihm das ja schuldig. Nur so einfach ist das mit dem Vergeben dann doch nicht.
Sie wollte am liebsten wegrennen, ihn nicht mehr sehen, aber wohin? Und fünf Kinder gab es auch noch. Sie blieb und pflegte ihren Mann bis zu seinem Tod. Noch ging es ihr gut, aber wie lange noch? Die Angst schwebte über ihr. Nicht so sehr die Angst davor, diese Erde zu verlassen, aber was würde dann mit ihren Kindern passieren? Nach dem Tod ihres Mannes nahm seine Familie das Wenige, was er ihr hinterlassen hatte, auch noch weg. Sie zog in die Nähe ihrer Eltern in eine einfache Lehmhütte. Es dauerte nicht lange und da wurde auch sie krank, sie verlor Gewicht, konnte nicht mehr essen, die Haare fielen aus. Verzweiflung machte sich breit, aber sie wollte leben, sie musste leben für ihre Kinder.
Dann geschah das Wunder, sie bekam als eine der ersten HIV Infizierten im Niger Zugang zu einer Therapie! Sie nahm wieder zu, die Kraft kam langsam zurück, gegen Nebenwirkungen der Medikamente kämpfte sie an. Sie musste leben!
Und sie lebt noch immer nach 15 Jahren Therapie.
Marlies Reulecke
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