Aus der Impulsreihe für Begleiter*innen von Straßenexerzitien von Nadine Sylla, Josef Freise, Maria Jans-Wenstrup, Dorothee Steif und Elisabeth Kämmerling
Beginnen wir mit einer kleinen Übung:
Ich hole mir ein paar gute Erinnerungen an Straßenexerzitien vors innere Auge.
Angesichts dessen frage ich mich: Worin liegt für mich der Reiz des Begleitens,
was macht mir daran Lust, was motiviert mich?
Evtl. schreibe ich einige Stichworte, die mir spontan kommen, auf.
Vor diesem Hintergrund lasse ich folgende Begriffe auf mich wirken und spüre, was sie in mir auslösen: Macht/Kontrolle – Steuerung; Voyeurismus – Neugier; Selbsttherapie – Selbstreflexion
Wichtig: Dabei geht es nicht um Selbstverurteilung, sondern um Ehrlichkeit!
Jetzt lassen wir noch einmal Doris Wagner zu Wort kommen:
Wie vermeiden Begleiterinnen und Begleiter es, spirituellen Missbrauch zu begehen? Ganz grundlegend scheint mir zu sein, dass sie selbst spirituell handlungsfähig sind und dass ihr Ziel in der Begleitung in nichts anderem besteht als darin, die spirituelle Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit der von ihnen begleiteten Menschen zu unterstützen. Das verhindert vor allem spirituelle Gewalt und ist eine ganz allgemeine Voraussetzung dafür, selbst keinen Missbrauch in der Begleitung zu begehen. Es ist aber nicht die einzige.
Ebenso wichtig ist es, sich der eigenen Möglichkeiten in der Begleitung bewusst zu sein, denn natürlich kann es vorkommen, dass der spirituelle Bedarf eines Menschen die Möglichkeiten eines Begleiters übersteigt, beispielsweise weil er die Erfahrungen und die Situation der Person nicht gut genug verstehen kann , weil er mit den von ihr genutzten Ressourcen nicht vertraut ist oder über keine passenden zusätzlichen Ressourcen verfügt, die er anbieten kann. (…) In solchen Situationen kommt es darauf an, dass Begleiter sich diese Überforderung auch ehrlich eingestehen. Ideal ist es, wenn sie die Personen außerdem an jemanden weitervermitteln, der in der Lage ist, ihnen hilfreiche spirituelle Ressourcen anzubieten. (…)
Wer andere Menschen begleiten will, ohne sie zu manipulieren, der sollte sorgfältig auf die eigenen Emotionen achten: Was empfinde ich, wenn eine von mir begleitete Person ein von mir gemachtes Angebot zurückweist? Was empfinde ich, wenn sie mir mit leuchtenden Augen zuhört? Bin ich selbst innerlich frei gegenüber den Reaktionen der von mir begleiteten Menschen und kann ich sie frei lassen? Vor allem aber ist es notwendig, sich intensiv mit der eigenen Motivation in der geistlichen Begleitung auseinanderzusetzen, das heißt, man sollte sich ganz ehrlich die Frage stellen: Was gibt es mir, was habe ich davon, andere geistlich zu begleiten, und wo kommt meine Motivation vielleicht mit den Bedürfnissen der Begleiteten in Konflikt? Nur wer einem solchen möglichen Konflikt offen in die Augen sieht, hat eine Chance, diesen Konflikt auszuräumen, indem er an sich und den eigenen Bedürfnissen arbeitet und sich möglicherweise einen Ort außerhalb der geistlichen Begleitung sucht, um die Bedürfnisse, die in der Begleitung nur auf Kosten der Selbstbestimmung des Begleiteten gestillt werden können, woanders zu befriedigen – beispielsweise das eigene Bedürfnis nach Anerkennung, Nähe oder Gebrauchtwerden.
(Auszug aus: D. Wagner, Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg 2019, S. 165ff.)
Schließlich haben wir in den Straßenexerzitien noch einen wichtigen Schatz, der uns hilft, geistlichem Missbrauch vorzubeugen oder ihn zu erkennen: Die Begleitung zu zweit, oft sogar in einer Vierergruppe. Sie ist nicht nur eine Bereicherung, sondern legt uns die gegenseitige Verantwortung auf für das, was wir voneinander mitbekommen: Wann spiele ich nicht mehr mit, wann sage ich Stopp?
Abschließend dazu noch ein Zitat aus unserem Papier über die Haltung des Begleitens:
Die beiden Begleiter*innen bringen unterschiedliche Fähigkeiten, Erfahrungshintergründe und Zuneigungen ein. Sie ergänzen einander und teilen die Verantwortung.
Sie achten darauf, dass sie gleichberechtigt den Prozess begleiten. Sie reflektieren miteinander die Rolle, die ihnen Teilnehmer*innen zuschreiben und unterstützen einander, damit verantwortlich umzugehen. Das dient auch dazu, geistlichen Machtmissbrauch zu verhindern.