Buchbesprechung zu „Auf nackten Sohlen“

Hunger nach Glauben und Gerechtigkeit

Von Heinz-Jürgen Metzger

Wie kann ein Christ in einem Staat, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, seinen Glauben leben? In seinem Buch „Auf nackten Sohlen“ beschreibt Christian Herwartz sein Leben an der Seite von Arbeitern, Armen und Ausgestoßenen. Er zeigt einen Weg, den „auferstandenen Jesus in unserer Mitte zu entdecken – besonders in Hungrigen, Kranken, Obdachlosen und Gefangenen“.

Herwartz, 1943 geboren, arbeitete zunächst als Maschinenbauer auf einer Kieler Werft. Auch nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden 1969 blieb er der Arbeitswelt verbunden. Lange Jahre lebte er als Arbeiterpriester in Frankreich und Deutschland. In Berlin war er an der Gründung einer kleinen Jesuitenkommunität beteiligt, in der er auch heute noch wohnt.

Getrieben vom „Hunger nach Glauben und Gerechtigkeit“ wird er zum Grenzgänger, zu jemandem, der immer wieder Grenzen überschreitet und die Begegnung mit Ausgegrenzten sucht. Stationen seines Weges schildert Herwartz kurz: 1989 – Hungerstreik von politischen Gefangenen in der BRD, 1993 – Räumung der Wagenburg in Berlin, seit 1995 Mahn- und Gebetswachen vor der Abschiebehaftanstalt für Flüchtlinge in Berlin-Köpenick.

„Der Hunger nach Gerechtigkeit ist ein Schmerz, mit dem wir unsere Umwelt neu sehen lernen. Wenn wir ihn nicht betäuben, öffnet er uns den Blick auf Menschen, die unter Ungerechtigkeit leiden. Deshalb preist Jesus den Hunger in der Bergpredigt und nennt die Menschen selig, die sich von ihm leiten lassen.“ schreibt Herwartz.

Um andere an dieser Öffnung hin zu den Ausgegrenzten Teil haben zu lassen, hat er „Exerzitien auf der Straße“ entwickelt. „Das Wort ‚Straße‘ weist auf die offenen, grenzenlosen Plätze im Leben hin, auf denen wir besondere, für unsere Leben entscheidende Begegnungsorte entdecken.“ Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind eingeladen, die Begegnung mit Jesus in der Großstadt zu suchen. Wie einigen von ihnen Jesus begegnet ist, auch das schildert das Buch.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass es konkret, immer auf Leben und Erleben bezogen ist. Dies macht es auch für mich als Buddhisten lesenswert. Mich hätte aber auch interessiert, wie das deutlich werdende Jesus-Bild in einem größeren theologischen Zusammenhang einzuordnen ist. Herwartz beschränkt sich darauf, seinen Weg und seine Arbeit in den Zusammenhang der Herausforderungen des Jesuitenordens zu stellen. Dessen Generalkongregation hatte 1974/75 entschieden, ‚dass die Teilnahme am Kampf für Glauben und Gerechtigkeit das ist, was den Jesuiten in unserer Zeit ausmacht‘.

„Auf nackten Sohlen“ ist ein Buch für alle die, die den Kampf für Glauben und Gerechtigkeit noch nicht verloren gegeben haben.

Heinz-Jürgen Metzger ist Zen-Mönch und leitet die BUDDHAWEG-SANGHA. Er arbeitet als Geschäftsführer der PEACEMAKER GEMEINSCHAFT DEUTSCHLAND

4-tägige Exerzitien in Lüneburg

Datum Donnerstag, 27. August 2015 – Sonntag 30. August 2015
Beginn: 17.00 Uhr; Ende: gegen 14.00 Uhr.

Begleitung Christoph Albrecht, Jesuitenpater, Universitätssseelsorger, Basel
Gabriele Löding, Diakonin, Referentin für Diakonie im Bund Ev. Freikirchl. Gemeinden, Lüneburg

Ort Friedenskirche EFG Lüneburg, Wichernstr.32, 21335 Lüneburg

Übernachtung Bewusst einfach, im Gemeindezentrum auf mitgebrachten Unterlagen

Kosten Verpflegungsumlage

Anmeldung und weitere Informationen bei G.Löding, Gloeding(at)baptisten.de, Telefon 04131 61076

weitere Informationen hier

„Die Welt steht in Flammen“ Teresa von Avila

(Die in diesem Artikel porträtierte Schwester Miriam, Küchenschwester und Priorin im Kölner Karmel, half uns schon einige Male bei der Durchführung von Tagesexerzitien auf der Straße. Der Artikel steht im Magazin zum Kirchenjahr, Heft 1/2015. Hamburg: Andere Zeiten e. V, www.anderezeiten.de)

Vor 500 Jahren kam Teresa von Avila zur Welt. Bis heute berühren die Glaubenswahrheiten der Mystikerin und Kirchenlehrerin die Menschen.

Von Kirsten Westhuis

Es ist eine aufgewühlte Zeit: Als Teresa de Ahumada 1515 im spanischen Avila geboren wird, steckt die mittelalterliche Welt im Umbruch in die Neuzeit. Kolumbus hat das Tor zur Neuen Welt aufgestoßen, aus der Mitte Europas verbreiten sich die ersten reformatorischen Gedanken und im Laufe des Jahrhunderts wird sich die katholische Kirche in Spanien zu einem Bollwerk der Gegenreformation entwickeln. In den Wirren dieser politischen Zusammenhänge macht die Nonne Teresa de Jesus, so ihr Ordensname, eine Entdeckung, die alle christlichen Religionsfehden überdauern und auch noch fünfhundert Jahre später viele Suchende berühren wird: Gott wohnt im Menschen.

Denke daran, dass Gott zwischen den Töpfen
und Pfannen da ist und dass er in dir in inneren und äußeren Aufgaben zur Seite steht.

Um der spätmittelalterlichen Teresa von Avila heute näherzukommen, empfiehlt der Theologe Manfred Gerwing als besten Weg: »Lesen, lesen, lesen.« Als Mystikerin, Ordensgründerin, Heilige, erste Kirchenlehrerin, Schriftstellerin ist schon viel geschrieben worden. Für die Spanier ist sie die Nationalheilige, für Schachspieler die Schutzpatronin. Direkt zum Kern ihres Denkens und Glaubens führen aber ihre eigenen Schriften: La Vida ist ihre Lebensbeschreibung, im Camino zeigt sie Wege zur Vollkommenheit für ihre Mitschwestern auf und gibt Tipps für das Zusammenleben in der Gemeinschaft. Als Klassiker der mystischen Literatur gilt ihre Gebetsanleitung Die innere Burg.

Suche Gott und du wirst ihn finden

»Ich mag Teresa«, sagt Mirjam Kiechle. Die 60-Jährige ist vor 38 Jahren in den Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen in Köln eingetreten. Immer wieder liest sie in den Schriften ihrer Ordensgründerin. »Ich wollte ein Leben leben, das allein Gott gewidmet ist«, sagt sie. Genau wie Teresa. Das Leben im Karmel wirkt auf viele Menschen außerordentlich streng. Es gibt lange Zeiten des Schweigens, viele Gebete, zwei Stunden Meditation täglich. Die Schwestern gehen keinen weltlichen Berufen nach, arbeiten nicht als Lehrerinnen, Ärztinnen oder Krankenschwestern, wie es in anderen Orden häufig der Fall ist. »Tag und Nacht im Gesetz des Herrn betrachten und im Gebet wachen«, lautet ein Kernsatz der Karmelitinnen. Diese kontemplative Ausrichtung des Karmels geht direkt auf Teresa von Avila zurück. Sie hatte zu ihrer Zeit den Orden reformiert und ihn zurück zu den alten, ursprünglichen Regeln geführt. Doch bevor sie die Reformen umsetzte und neue Klöster gründete, vergingen viele Jahre.

Teresa ist Ende 30. Immer noch ist sie auf der Suche nach Gott. Oft ist sie krank. Ihre innere Unruhe will nicht weichen. Gott scheint so weit weg. Die strengen, formalen Gebete bringen sie nicht voran. Aber sie sucht weiter und macht schließlich ihre entscheidende Erfahrung: »Gott ist in mir.« Diese Erkenntnis ändert alles. Sie öffnet Teresa das Tor nach innen, zu ihrer Seele, zum inneren Gebet und zum Leben in Einheit mit Gott. »Ich muss nicht weit gehen. Ich muss auch nicht in die Kirche gehen, um Gott zu suchen«, erklärt Mirjam Kiechle: »Gott ist in mir.« Das ruft sich die Ordensschwester immer wieder ins Bewusstsein.

Nichts soll dich verwirren, nichts dich erschrecken.
Alles vergeht, Gott ändert sich nicht.
Die Geduld erlangt alles.
Wer Gott hat, dem fehlt nichts.
Gott allein genügt.

»Das muss ich nicht fühlen – ich habe nicht ständig fromme Gefühle. Aber das ist eine Glaubenswahrheit, darauf darf ich vertrauen«, sagt sie. Der nahe, liebende Gott eröffnete Teresa eine ganz andere Art des Betens, die im 16. Jahrhundert für Frauen nicht vorgesehen war.

Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.

»Das Gebet ist meiner Ansicht nach nichts anderes als ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil er uns liebt.« Dieser Satz stammt von Teresa. »Und da bin ich ganz bei ihr«, sagt Schwester Mirjam. »Dieses Beten ist es, das mir gefällt.«

Freundschaft mit Gott, damit könne jeder anfangen: eine Kerze anzünden, kurz innehalten, sich bewusst machen, dass Gott gegenwärtig ist, anfangen zu reden. »Und dann auch mal den Mund halten und hören, was Gott zu sagen hat«, sagt die Karmelitin aus Köln. »Immer im Mittelpunkt stehen müssen, das geht nicht. Nicht im Gebet und auch nicht im Leben.« Teresa drückte es drastischer aus: »Die Welt steht in Flammen. Jetzt ist nicht die Zeit, mit Gott über geringfügige Dinge zu verhandeln.«

Wie selten sind doch die Menschen, die das, was sie tun, ganz tun.

Vom Selfie, vom Ego-Trip, herunterkommen – so könnte die zeitgenössische Übersetzung lauten. Aber um das zu schaffen, ist zunächst Selbsterkenntnis nötig. In einer Zeit der Beschleunigung und Entfremdung, wie Soziologen unsere Gegenwart beschreiben, wird es zunehmend schwieriger, die eigene Identität zu finden. »In dieser Beliebigkeit schafft es Teresa, die Menschen mit sich selbst zu konfrontieren «, meint der Theologe Manfred Gerwing von der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie sei eine hervorragende Lehrerin: »Sie weist den Weg, wie ich zu mir selbst zurückfinde.« Die ungeheure Anziehungskraft, die Teresa von Avila auch nach fünf Jahrhunderten auf viele Menschen ausübt, sieht Manfred Gerwing in ihrer Klarheit begründet: »Teresa ist fordernd. Sie ist kein Softie, sondern sie sagt: ›Wenn du hörst, musst du auch handeln.‹«

Gott und ich, wir zusammen sind die Mehrheit.

Kontemplation und Aktion lautet die Kurzformel. Und ihre Wirkung ist enorm: Am Ende ihres Lebens hat Teresa den Karmel reformiert, 17 neue Klöster gegründet, zahlreiche Werke geschrieben, das mittelalterliche Frauenbild verändert. »Sie war nicht nur die fromme Nonne «, sagt Mirjam Kiechle. Praktisch, handfest, lebensnah – auch dafür sei Teresa bekannt.

Als sie 1582 in Avila stirbt, wüten die Machtkämpfe zwischen den Konfessionen. Nach ihrem Tod wird Teresa als Heilige und Kirchenlehrerin in der katholischen Kirche eine herausgehobene Rolle einnehmen. Aber ihre grundlegenden Gedanken überwinden Grenzen, meint Schwester Mirjam: »Teresa führt uns nach innen. Und was das Innerste ausmacht, ist unabhängig von der Konfession.«

Canisius-Kolleg

Liebe BesucherInnen unserer Homepage!  http://www.canisius.de/
Am 23.1.1945 und dann am 2.2.1945 wurden dreizehn Mitglieder des Widerstandes gegen das Hitlerregime ermordet, unter ihnen der Anführer des Kreisauer Kreises, Helmuth James von Moltke. Und der Jesuit P Alfred Delp. Ihr Gedenken begingen wir mit einem Festgottesdienst in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum am Heckerdamm. Dieser wurde u.a. mit musikalischen Einlagen des Jazzmusikers, unseres ehemaligen Schülers, Ulrich Kempendorff gestaltet.

Am 28.1.2010 berichtete die Berliner Morgenpost als erste Tageszeitung von den Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg. Vorangegangen aber war der entscheidende, mutige Schritt mehrerer Betroffener, sich nach wiederholter Erfahrung von Ablehnung nochmals dem damaligen Rektor P Klaus Mertes zu offenbaren. Mertes hatte aus dem Gespräch geschlossen, dass es eine große Zahl Betroffener geben müsste und einen Brief an alle Jahrgänge geschrieben. Das Ausmaß der Übergriffe, die sich Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre am Canisius-Kolleg ereigneten, und des dadurch verursachten Leides bei den Betroffenen lässt uns heute noch sprachlos und erschüttert. Fünf Jahre sind seither vergangen und vieles ist passiert. Die Geschichte ist aber noch weit davon entfernt abgeschlossen zu sein. Dies gilt insbesondere für die Betroffenen: Manche schildern das Leid als „lebenslang“. Aber auch der Orden ist weit davon entfernt, ein Ende abzusehen, im Ringen darum, wie uns der Blick auf diese dunkle Seite unserer Geschichte verändern wird und verändern muss. Denn das haben wir über sexualisierte Gewalt gelernt: Es geht eben nicht nur um ein einzelne Täter, sondern auch um ein Umfeld, das diese Taten mit Wegsehen und Schweigen ermöglicht.

Unser Sprechen am Kolleg aber ist geprägt von sehr unterschiedlichen Perspektiven: Mitarbeiter und Jesuiten fühlen sich in unterschiedlicher Weise betroffen. Bei uns greifen zeitliche Perspektiven, die in der öffentlichen Wahrnehmung meist untergehen: Eben gingen am Canisius-Kolleg die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer in den Ruhestand, die gerade einmal angestellt wurden, als die Täter das Kolleg verlassen hatten. Die Mehrzahl unserer Schüler heute hat die Aufdeckung der Missbrauchsfälle 2010 nicht erlebt, als Pater Mertes SJ und unsere Schulleiterin Frau Hüdepohl die ganze Schulgemeinschaft in der Halle versammelte, um ihnen zu erklären, was „sexualisierte Gewalt“ bedeutet, welches Leid es auslöst, und sich den Fragen der Schüler zu stellen. Die Geschichte sexualisierter Gewalt am Canisius-Kolleg ist und bleibt Teil unserer Geschichte. Fünf Jahre nach der Aufdeckung stehen wir vor der pädagogischen Herausforderung, das Erinnern an unserem Kolleg auf eine angemessene Weise wach zu halten. Das kann erfahrungsgemäß nur gelingen, wenn die Jugendlichen die Relevanz für ihr eigenes Leben spüren. Eine solche Kultur des Erinnerns muss sich deshalb wesentlich von den Routinen öffentlichen Gedenkens unterscheiden.

Was macht es mit einer Gemeinschaft und mit einer Schule, wenn man mit dieser Vergangenheit konfrontiert wird? Ich bin allen dankbar, die uns geholfen haben, die tiefen, menschlichen Konflikte und die Prozesse der Trauer und des Zorns zu verstehen, die diese Entdeckung im Orden und in der Schule bis heute ausgelöst haben. Es ist schön, wenn die Süddeutsche Zeitung per Ferndiagnose über unsere Homepage feststellt, dass der Schulfriede wieder hergestellt ist. Und es stimmt auch: Gott sei Dank haben wir im Alltag Schulfriede. Der ist wichtig, wo es darum geht, heutigen Jugendlichen in ihrer Situation gerecht zu werden. Das darunter liegende Ringen aller Beteiligten um die eigene Identität mit dieser Geschichte aber werden wir nicht publizistisch ausschlachten.

Wohl lohnt es sich aber über die Barrieren zu sprechen, die jede Präventionsarbeit so wichtig und so anstrengend macht: Die Angst von Pädagogen und Eltern, selbst Ziel eines unberechtigten Vorwurfs sexualisierter Gewalt zu werden. Prävention bedeutet hier zunächst, Angst abzubauen und im Alltag zu zeigen, wie es weit im Vorfeld sexualisierter Gewalt und daher undramatisch zur pädagogischen Normalität werden kann, dass Kinder eigene Grenzen thematisieren und Erwachsene lernen, ihr Verhalten daraufhin in Frage zu stellen, ohne sich gleich grundlegend in Frage gestellt zu sehen. Diese Normalität im Sprechen über Grenzen zusammen mit klaren und eindeutigen Regeln professionellen Umgangs sind Bausteine, um die Strategien der Täter zu unterlaufen. Sie haben uns aber auch geholfen, grundlegender über unsere Rolle als Pädagogen, nachzudenken, über Schule als Lebensort für junge Menschen und über Wege, die Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Prävention gegen sexualisierte Gewalt löst schon in „normalen“ Schulen unter „normalen“ Umständen Prozesse aus, die schwierig genug zu handhaben sind. An unserem Kolleg erfolgte die Erarbeitung unter den Zeichen des Schocks und der schweren Identitätskonflikte einer Institution und einer Gemeinschaft, die einen Blick in den eigenen Abgrund tun getan hat. Liebes Kollegium, liebe Eltern und liebe Schüler, danke für die Loyalität und den Mut, mit der Sie alle unsere Geschichte und wichtige Schritte in die Zukunft mitgetragen haben. Ich danke auch den Menschen, die durch Ihren Schritt auf P Mertes und den Orden zu, die Aufarbeitung ermöglicht – und damit einen Prozess in Gang gebracht haben, der zu wichtigen Schritten geführt hat, um hoffentlich heute Kinder und Jugendliche besser zu schützen.

P. Tobias Zimmermann SJ, Rektor Canisius-Kolleg

Predigt von P. Tobias Zimmermann SJ zum Gedenken an die Frauen und Männer des Widerstandes gegen das Hitlerregime.

Sich weiter den Folgen des Mißbrauchs stellen

Am 28.1.2010 berichtete die Berliner Morgenpost als erste Tageszeitung von den Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg. Vorangegangen aber war der entscheidende, mutige Schritt mehrerer Betroffener, sich nach wiederholter Erfahrung von Ablehnung nochmals dem damaligen Rektor P. Klaus Mertes SJ zu offenbaren. Mertes hatte aus dem Gespräch geschlossen, dass es eine große Zahl Betroffener geben müsste und einen Brief an alle Jahrgänge geschrieben. Das Ausmaß der Übergriffe, die sich Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre am Canisius-Kolleg ereigneten, und des dadurch verursachten Leides bei den Betroffenen lässt uns heute noch sprachlos und erschüttert. Fünf Jahre sind seither vergangen und vieles ist passiert. Die Geschichte ist aber noch weit davon entfernt abgeschlossen zu sein. Dies gilt insbesondere für die Betroffenen: Manche schildern das Leid als „lebenslang“.

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Tageskurse in Nürnberg

Monatliche Tagesexerzitien in Nürnberg

Jeden Monat bietet die Ökumenische Basisgemeinde Lorenzer Laden an einem Samstag eintägige Straßenexerzitien an.
Beginn ist um 10 Uhr mit einem Kennenlernen der Gruppe und des Formats, sowie einem geistlichen Impuls zur Aussendung auf die Straße. Nach 5 Stunden treffen sich die Teilnehmenden zum Austausch, bei dem Methoden szenischer Erkundung des Erlebten zum Einsatz kommen. Eine Abendmahlsfeier beschließt den Tag.

Die neuen Termine:

Sa,17.1.
Sa, 14.2.
Sa, 7.3.
Sa, 18.4.
Sa, 23.5.
Sa, 20.6.
Sa, 11.7.
Ort: Lorenzer Laden, Lorenzer Platz 8, 90402 Nürnberg

Begleitung: Ladenpfarrer Thomas Zeitler und Pfarrerin Susanne Gutmann
Anmeldung: und weitere Informationen: basisgemeinde@lorenzerladen.de

Vatikanisch-muslimische Erklärung: „Ohne Pressefreiheit ist die Welt in Gefahr“

Der Vatikan und vier französische Imame haben in einer gemeinsamen Erklärung den Anschlag in Paris als „Grausamkeit und blinde Gewalt“ verurteilt. Ohne die Pressefreiheit sei die Welt in Gefahr, heißt es in dem Schreiben, das der Vatikan am Donnerstag veröffentlichte. Jeder Mensch müsse sich allen Formen der Gewalt, die das menschliche Leben zerstörten oder die menschliche Würde verletzten, entgegenstellen. Die Verantwortlichen der Religionen müssten stets eine „Kultur des Friedens und der Hoffnung“ fördern. Der gemeinsame muslimisch-katholische Appell richtete sich freilich auch an Medienverantwortliche: Über Religion, ihre Anhänger und ihre Praktiken sei respektvoll zu berichten. Zugleich rufen die Unterzeichner zum Gebet für die Opfer auf.

Unterzeichner sind der Präsident des päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, der französische Kurienkardinal Jean-Louis Tauran, vier französische Imame sowie der Bischof von Evry, Michel Dubost, und der Direktor des französischen katholischen Dienstes für die Beziehungen mit dem Islam, Christophe Roucou. Sie hatten im Vatikan an einer Konferenz über den interreligiösen Dialog in Frankreich teilgenommen, die am Donnerstag zu Ende ging. Am Mittwoch hatten die Imame die Generalaudienz des Papstes besucht und waren von Franziskus begrüßt worden.

Die Erklärung im Wortlaut:

Wir laden die Gläubigen dazu ein, in Freundschaft und Gebet ihre menschliche und geistige Solidarität mit den Opfern und ihren Familien auszudrücken. Unter diesen Umständen empfiehlt es sich auch, daran zu erinnern, dass ohne die Meinungsfreiheit die Welt in Gefahr ist. Daher ist es notwendig, sich dem Hass und den allen Formen von Gewalt zu widersetzen, welche nicht nur das menschliche Leben zerstören und die Würde der Personen verletzen, sondern auch die Grundlage des friedlichen Miteinanders zwischen den Völkern zutiefst verletzen, ungeachtet der Unterschiede in Nationalität, Religion oder Kultur. Wir rufen daher die religiösen Verantwortlichen dazu auf, eine Hoffnungs und Friedenskultur zu fördern, die fähig ist, Angst zu besiegen und Brücken zwischen den Völkern zu bauen. Mit Blick auf die Welt der Kommunikation laden wir die Verantwortlichen in den Religion dazu ein, über ihre Religion, ihre Anhänger und religiösen Praktiken zu informieren, um so eine Kultur der Begegnung zu fördern. Der interreligiöse Dialog bleibt der einzige Weg, um Vorurteile aus dem Weg zu räumen

Exerzitien zur Ökumene der Märtyrer, Berlin

vom 29. März − 1. April 2015

Vor 500 Jahren fand in Deutschland die Reformation statt. Vor 70 Jahren wurde die Trennung im Land der Reformation durch die „Ökumene der Märtyrer“ überwunden.

Ein Beispiel von mehreren: Der Vorsitzende des NS-Volksgerichtshofs Freisler verurteilte den Protestanten Helmuth James von Moltke und den Katholiken Alfred Delp SJ in einem gemeinsamen Urteil am 10. Januar 1945 zum Tod durch den Strang. Moltke schreibt zwei Tage nach dem Urteil an seine Frau Freya:

Helmuth James Graf von Moltke

… und dann wird dein Wirt [Moltke selbst] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft zu Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurchsteht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das alles ist ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen (…) – sondern als Christ und gar nichts anderes.

 

Und er fügt hinzu:

 Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist dein Wirt ausersehen gewesen: all die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzack-Kurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.

 

Alfred Delp

Die in Kreisau begonnene fruchtbare ökumenische Auseinandersetzung fand im Gefängnis in Tegel ihre Fortführung: Moltke und Delp verbrachten die letzten Monate ihres Lebens zusammen mit anderen Zelle an Zelle in ökumenischer Lese-, Bet- und Gesprächsgemeinschaft. Sie vereinbarten eine gemeinsame Schriftlesung, beteten mehrmals gemeinsam eine Novene (ein neuntägiges Gebet), sie nutzten die Hofgänge zu intensivem theologischen Austausch, der auch den mitangeklagten evangelischen Theologen Eugen Gerstenmaier und den Katholiken Fugger von Glött einschloss. Nicht zuletzt verband sie die geistliche Mitfeier des Abendmahls.

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Papst Franziskus: 15 Krankheiten der Kurie

Der geistliche Weg eines einzelnen Menschen oder einer Gemeinschaft beginnt oft mit einer Vergewisserung des gemeinsamen Anliegens (Evangelium Taufe Jesu, Exerzitienbuch Fundamentbetrachtung). Dann werden die Blockaden auf dem Weg der Befreiung deutlich (Versuchungsgeschichte Jesu) Diese Unfreiheiten zu sehen, um Befreiung zu bitten und davon Zeugnis zu geben (z.B. in einer Beichte), ist der dann meist folgende Schritt. Franziskus gibt unsäglich wie es die Wüstenväter/Müter oft getan haben, eine Hilfestellung diese Blockaden zu sehen

Die römische Kurie und der Leib Christi

Ansprache von Papst Franziskus anlässlich des Empfangs für die Leiter der römischen Kurie, 22.12.2014 in einer Arbeitsübersetzung

 „Du bist über den Cherubim, der Du den schlimmen Zustand der Erde umgewandelt hast, da Du wie wir geworden bist.” (hl. Athanasius, Psalmenerklärung)

 

Liebe Brüder,

zum Abschluss des Advent treffen wir uns zu den traditionellen Grüßen. In einigen Tagen werden wir die Freude haben, die Geburt unseres Herrn zu feiern; das Ereignis, bei dem Gott Mensch wird um die Menschen zu retten; die Offenbarung der Liebe Gottes, die sich nicht damit beschränkt, uns irgendwas zu geben oder eine Botschaft zu schicken oder einen Boten, sondern die sich selbst gibt; den Dienst Gottes, der unser Menschsein und unsere Sünden auf sich nimmt, um uns sein göttlichen Leben zu zeigen, seinen großen Dank und seine frei gegebene Vergebung.

Das ist die Begegnung mit Gott, der in Armut im Stall zu Bethlehem geboren wird, damit wir die Kraft der Demut erfahren. Tatsächlich, Weihnachten ist auch das Fest des Lichtes, das vom „auserwählten“ Volk nicht angenommen wurde, aber vom armen und einfachen Volk, das die Erlösung durch den Herrn erwartete.

Vor allem möchte ich Ihnen allen – Mitarbeitern, Brüdern und Schwestern, Vertretern des Papstes auf der ganzen Welt – und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr wünschen. Ich möchte Ihnen von Herzen danken, für Ihren täglichen Einsatz im Dienst für den Heiligen Stuhl, die katholische Kirche, der Ortskirchen und den Nachfolger Petri.

Wir sind Menschen und nicht Zahlen oder nur Namen, und deswegen bedanke ich mich im Besonderen bei denen, die im Laufe dieses Jahres ihren Dienst beendet haben, sei es weil sie die Altersgrenze erreicht haben oder weil sie eine andere Aufgabe übernommen haben oder auch weil sie in das Haus des Vaters gerufen wurden. Ich danke und denke auch an sie und ihre Familien.

Ich möchte gemeinsam mit Ihnen dem Herrn einen herzlichen und ehrlichen Dank für das Jahr darbringen, das zu Ende geht, für alles, was wir erlebt haben und für all das Gute, das Er großmütig durch den Dienst des Heiligen Stuhles erreichen wollte. Wir bitten Ihn demütig um Vergebung für all die von uns begangenen Verfehlungen „in Gedanken, Worten, Werken und Auslassungen.“

Und von dieser Bitte um Vergebung ausgehend ist es meine Absicht, dass diese unsere Begegnung und die Gedanken, die ich mit Ihnen teilen möchte, für uns alle zu einer echten Gewissenserforschung stützen und antreiben, um unsere Herzen für das Weihnachtsfest vorzubereiten.

Als ich über dieses Treffen nachdachte, kam mir das Bild der Kirche als mystischer Leib Jesu Christi in den Sinn. Dieser Ausdruck, wie Papst Pius XII. erklärt, „ergibt sich und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig darüber vorgebracht wird“ (Enzyklika Mystici Corporis Christi).

Der heilige Paulus schreibt dazu: „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus.“ (1 Kor 12:12)

In diesem Sinn erinnert uns das Zweite Vatikanische Konzil daran, dass „auch bei der Auferbauung des Leibes Christi (..) die Verschiedenheit der Glieder und der Aufgaben (waltet). Der eine Geist ist es, der seine vielfältigen Gaben gemäß seinem Reichtum und den Erfordernissen der Dienste zum Nutzen der Kirche austeilt (vgl. 1 Kor 12,1-11; Lumen Gentium 7).“ Daher gilt: „Christus und die Kirche bilden somit den „ganzen Christus“ – Christus totus – Die Kirche ist mit Christus eins.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, 789 und 795).

Wir können uns gut die römische Kurie als ein kleines Modell der Kirche vorzustellen, also wie einen „Leib“, der ernsthaft und täglich danach sucht, lebendiger zu sein, gesünder, harmonischer und mehr vereint in sich selbst und mit Christus.

Tatsächlich, die römische Kurie ist ein komplexer Corpus, er besteht aus vielen Dikasterien, Räten, Büros, Kommissionen und aus vielen Elementen, die alle verschiedene Aufgaben haben, aber zu einem wirksamen, konstruktiven, geordneten und beispielhaften Funktionieren koordiniert sind, trotz all der kulturellen, sprachlichen und nationalen Verschiedenheit ihrer Mitarbeiter (Evangelii Gaudium, 130-131).

Weil aber die Kurie ein dynamisches Wesen ist, kann sie nicht leben ohne sich zu ernähren und sich zu pflegen. Wie auch die Kirche als solche kann die Kurie nicht leben, ohne eine lebendige, persönliche, authentische und beharrliche Beziehung mit Christus zu haben (vgl Joh 14:4-5). Ein Mitglied der Kurie, der sich nicht täglich mit dieser Speise nährt, wird zu einem Bürokraten, einem Formalisten, Funktionalisten, einem bloßen Angestellten: ein Rebzweig, der trocknet und Stück für Stück stirbt und der weggeworfen wird. Das tägliche Gebet, die beständige Teilnahme an den Sakramenten, vor allem and er Eucharistiefeier und dem Sakrament der Versöhnung, die tägliche Berührung des Wortes Gottes und eine Spiritualität, die sich in gelebte Nächstenliebe übersetzt, sind die lebendige Nahrung für jeden von uns. Uns allen soll klar sein, dass wir ohne Ihn nichts tun können (Joh 15:8).

Als Folge nährt und bestärkt die lebendige Beziehung mit Gott auch die Gemeinschaft mit den Anderen, das heißt je mehr wir zutiefst mit Gott verbunden sind, desto mehr sind wir unter uns verbunden, denn der Heilige Geist vereint und der Geist des Bösen trennt.

Die Kurie ist gerufen, sich zu bessern, immer zu verbessern und in Gemeinschaft, Heiligkeit und Weisheit zu wachsen, um ihre Aufgabe ganz und gar erfüllen zu können (Pastor Bonus 1, CIC 369). Und wie jeder menschliche Körper ist sie auch Krankheiten ausgesetzt, der Erkrankung und der Fehlfunktion. Hier möchte ich einige dieser möglichen Krankheiten nennen, kuriale Krankheiten. Es sind die Krankheiten, die sich öfter in unserem Leben als Kurie finden. Es sind Krankheiten und Versuchungen, die unseren Dienst für den Herrn schwächen. Ich bin überzeugt, dass uns ein „Katalog“ dieser Krankheiten helfen kann – darin den Wüstenvätern folgend, die solche Kataloge erstellten – und davon möchten wir heute sprechen: Er helfe uns, uns für das Sakrament der Versöhnung vorzubereiten, das ein guter Schritt der Vorbereitung auf Weihnachten für uns alle ist.

Die 15 Krankheiten

1. Die Krankheit, sich „unsterblich“, „immun“ oder geradezu „unersetzlich“ zu fühlen, indem die nötigen und gewohnheitsmäßigen Kontrollen außer Acht gelassen werden. Eine Kurie, die sich selbst nicht kritisiert, die sich nicht erneuert, die nicht besser werden will, ist ein kranker Körper. Ein ganz normaler Besuch auf einem Friedhof kann uns helfen, die Namen vieler Personen zu sehen, von denen manche vielleicht dachten, dass sie unsterblich, unangreifbar und unersetzlich seien! Es ist die Krankheit des reichen Toren aus dem Evangelium, der glaubte, ewig zu leben (vgl. Lk 12:13-21), und derer, die sich zu Herren machen und sich allen überlegen fühlen statt im Dienste an allen. Sie rührt oft von der Sucht nach Macht und vom „Komplex der Erwählten“, vom Narzissmus, der leidenschaftlich das eigene Ebenbild betrachtet und nicht das Abbild Gottes, das sichtbar ist im Antlitz der anderen, vor allem der Schwächsten und Bedürftigsten (Evangelii Gaudium 197-201). Das Gegenmittel für diese Seuche ist die Gnade, sich als Sünder zu fühlen und von ganzem Herzen zu sagen: „Wir sind unnütze Diener; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“ (Lk 17,10).

2. Eine andere: Die Krankheit des „Marta-lismus“ [abgeleitet von der biblischen Figur der Marta], der übertriebenen Arbeitswut: das heißt die Krankheit derer, die sich in die Arbeit stürzen und dabei unausweichlich „den besseren Teil“ außer Acht lassen: zu den Füßen Jesu zu sitzen (vgl. Lk 10,38-42). Deshalb lud Jesus seine Jünger ein: „Ruht ein wenig aus“ (vgl. Mk 6,31), denn die nötige Ruhe zu vernachlässigen führt zu Stress und Aufregung. Die Ruhe für den, der seine Arbeit beendet hat ist nötig, geboten und ernst zu nehmen, indem man Zeit mit der Familie verbringt und die Feiertage als Zeiten der geistlichen und körperlichen Erholung respektiert; es gilt zu lernen, was Kohelet lehrt: „Ein jedes hat seine Zeit“ (Koh 3:1-5).

3. Es gibt auch die Krankheit der geistigen und geistlichen „Versteinerung“: Die Krankheit derer, die ein Herz aus Stein haben und „halsstarrig“ sind (Apg 7:51-60), die auf ihrem Weg die innere Ausgeglichenheit verlieren, die Lebendigkeit und den Wagemut, die sich hinter Papier verstecken und „Verwaltungsmaschinen“ werden statt „Menschen Gottes“ (Hebr 3:12). Es ist gefährlich, das menschliche Mitgefühl zu verlieren, das man braucht, um mit den Weinenden zu weinen und sich mit denen zu freuen, die froh sind! Es ist die Krankheit derer, die die „Gesinnung Jesu“ verlieren (Phil 2:5-11), denn ihr Herz verhärtet sich im Laufe der Zeit und wird unfähig, den himmlischen Vater und den Nächsten bedingungslos zu lieben (vgl. Mt 22:34-40). Christsein bedeutet genau das: „so gesinnt sein, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,5), demütig und freigiebig gesinnt, losgelöst und großzügig (Benedikt XVI, Generalaudienz 1. Juni 2005).

4. Die Krankheit der ausufernden Planung und des Funktionalismus. Wenn der Apostel alles haarklein plant und glaubt, dass mit einer perfekten Planung die Dinge effektiv vorangehen, dann wird er zu einem Buchhalter und Betriebswirt. Gute Vorbereitung ist notwendig, aber immer ohne der Versuchung zu erliegen, die Freiheit des Heiligen Geistes einschränken und steuern zu wollen; er bleibt immer größer, großzügiger als alles menschliche Planen (Joh 3:8). Man fällt in diese Krankheit, weil es „immer leichter und bequemer ist, den eigenen statischen und unveränderten Haltungen zu folgen. In Wirklichkeit ist die Kirche dem Heiligen Geist in dem Maß treu, in dem sie nicht beansprucht, ihn zu regulieren und zu zähmen … den Heiligen Geist zähmen! – Er ist Frische, Fantasie, Neuheit.“ (Papstpredigt 30. Nov 2014)

5. Die Krankheit der schlechten Absprache. Wenn die Mitglieder ihre Gemeinschaft miteinander verlieren und der Körper seine harmonische Funktion und sein Maß, dann wird er zu einem Orchester, das Krach macht, weil seine Mitglieder nicht zusammen spielen und keinen Gemeinschafts- und Mannschaftsgeist haben. Wenn der Fuß zum Arm sagt: „Ich brauche dich nicht“, oder die Hand zum Kopf: „Ich befehle“, erzeugt das Unbehagen und Skandal.

6. Es gibt auch die Krankheit des „geistlichen Alzheimer“, der Vergessenheit der Geschichte des Heils, der persönlichen Geschichte mit dem Herrn, der „ersten Liebe“ (Apg 2:4). Dabei handelt es sich um ein fortschreitendes Absenken der geistlichen Fähigkeiten, die früher oder später zu einer schweren Handicap des Menschen führen und ihn unfähig werden lassen, autonom zu handeln, und ihn so in einem Zustand völliger Abhängigkeit von den von ihm selbst geschaffenen Selbstbildern leben lassen. Das sehen wir bei denen, die die Erinnerung an ihre Begegnung mit dem Herrn verloren haben; bei denen, die nicht dem alttestamentlichen Sinn des Lebens haben; bei denen, die völlig von ihrer Gegenwart abhängen, von ihren Leidenschaften, Launen und Ideen; bei denen, die um sich herum Mauern und Gewohnheiten bauen und so immer mehr Sklaven der Götzen werden, die sie sich selbst geschaffen haben.

7. Die Krankheit der Rivalität und der Ruhmsucht (Evangelii Gaudium 95-96) – wenn das Äußere, die Farben der Kleidung und Zeichen der Ehre zum vorrangigen Lebensziel werden und man das Wort des heiligen Paulus vergisst: „Tut nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.“ (Phil 2:1-4). Es ist die Krankheit, die uns falsche Männer und Frauen sein und einen falschen „Mystizismus“ und einen falschen „Quietismus“ leben lässt. Paulus nennt sie „Feinde des Kreuzes Christi“, denn „ihr Ruhm besteht in ihrer Schande, Irdisches haben sie im Sinn“ (Phil 3:19).

8. Die Krankheit der schizophrenen Existenz. Es ist die Krankheit derer, die ein Doppelleben führen, Ergebnis der typischen Heuchelei des Mittelmaßes und einer fortschreitenden geistlichen Leere, die akademische Abschlüsse und Titel nicht befriedigen können. Eine Krankheit, die oft diejenigen trifft, die den pastoralen Dienst aufgeben haben und sich auf bürokratische Aufgaben beschränken; dabei verlieren sie den Kontakt mit der Realität, mit den konkreten Menschen. Sie schaffen eine Parallelwelt, in dem sie selber alles das ablegen, was sie andere streng beibringen, und beginnen, ein verborgenes und oft ausschweifendes Leben zu führen. Für diese äußerst schwere Krankheit ist die Bekehrung dringend und unverzichtbar (Lk 15:11-32).

9. Die Krankheit des Geschwätzes, des Gemurmels, des Tratschens. Von dieser Krankheit habe ich schon oft gesprochen, aber noch nicht genug. Es ist eine schwere Krankheit, die ganz einfach beginnt, manchmal nur durch zwei Gerüchtem, durch die man sich zum Herrn über jemand anderen macht und so zum „Sämann von Unkraut“ wird, wie Satan. In vielen Fällen ist das „kaltblütiger Mord“ am Ruf der eigenen Kollegen und Brüder. Es ist die Krankheit von feigen Menschen, die nicht den Mut haben, etwas direkt zu sagen und es deswegen hinter dem Rücken tun. Der hl. Paulus ermahnt uns: „Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid“ (Phil: 14.18). Brüder, hüten wir uns vor dem Terrorismus des Geschwätzes!

10. Die Krankheit der Vergötterung der Vorgesetzte: Das ist die Krankheit derer, die Oberen schmeicheln, weil sie hoffen, ihr Wohlwollen zu erhalten. Sie sind Opfer des Karrierismus und des Opportunismus, sie ehren die Menschen und nicht Gott (vgl. Mt 23:8-12). Es sind Menschen, die in ihrem Dienst einzig daran denken, was sie bekommen können, nicht, was sie geben müssen. Es sind Kleingeister, unglücklich und nur von ihrem eigenen fatalen Egoismus geleitet (vgl. Gal 5:16-25). Diese Krankheit könnte auch die Oberen treffen, wenn sie einige ihre Mitarbeiter umschmeicheln, um ihre Unterwerfung, Loyalität und psychische Abhängigkeit zu erhalten, aber im Ergebnis ist das echte Komplizenschaft.

11. Die Krankheit der Gleichgültigkeit gegenüber anderen. Wenn jeder nur an sich selbst denkt und die Ernsthaftigkeit und Wärme in seinen menschlichen Beziehungen verliert. Wenn der Fachmann sein Wissen nicht den weniger fachkundigen Kollegen zur Verfügung stellt. Wenn man etwas erfährt erhält und es für sich behält, statt es mit anderen zu teilen. Wenn man, aus Eifersucht oder Verschlagenheit, sich freut, jemanden fallen zu sehen, statt ihm aufzuhelfen und ihn zu ermutigen.

12. Da ist die Krankheit des Beerdigungsgesichtes: Das bedeutet Menschen, die mürrisch und finster drein blicken, die meinen, um ernsthaft sein zu können, ihr Gesicht mit Melancholie und Strenge anmalen zu müssen, und die die anderen, vor allem die Schwächeren, mit sturer Strenge, Härte und Arroganz behandeln. In Wirklichkeit ist diese theatralische Strenge ein steriler Pessimismus und ein Zeichen für Angst und Unsicherheit. Der Apostel muss sich bemühen, ein höflicher, gelassener, begeisterter und fröhlicher Mensch zu sein, der überall Freude schenkt. Ein von Gott erfülltes Herz ist ein glückliches Herz, das ausstrahlt und alle um sich herum mit Freude ansteckt: Das sieht man sofort! Lasst uns also nicht den Geist der Freude verlieren, voll Humor und Selbstironie; er macht uns liebenswert, auch in schwierigen Situationen. Wie gut tut uns eine gute Dosis gesunder Humor! Es tut gut, das Gebet des heiligen Thomas Morus zu sprechen [„… Herr, schenke mir Sinn für Humor. Gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.“]; ich selbst bete es täglich, es tut mir gut.

13. Die Krankheit des Sammelns. Das ist wenn der Apostel eine existenzielle Leere in seinem Herzen auffüllen will, indem er Dinge anfhäuft, nicht weil er sie braucht, sondern um sich sicher zu fühlen. Aber wir werden keine Dinge mitnehmen können, denn „das Leichentuch hat keine Taschen“, und alle unsere irdischen Schätze – und seien sie königlich – können niemals diese Leere füllen, im Gegenteil: Sie machen sie noch fordernder und tiefer. Zu solchen Menschen sagt der Herr: „Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. … So sei nun eifrig und tue Buße!“ (Offb 3,17-19) Das Angehäufte macht nur schwer und verlangsamt unausweichlich das Voranschreiten! Ich denke hierbei an eine Geschichte: Die spanischen Jesuiten beschrieben früher die Gesellschaft Jesu [also ihren Orden] als „leichte Kavallerie der Kirche“. Ich erinnere mich an einen Umzug eines jungen Jesuiten; als er seine vielen Habseligkeiten – Koffer, Bücher, Gegenstände und Geschenke – in einen Lastwagen lud, sagte ein alter Jesuit, der dabeistand und ihn beobachtete, ihm mit weisem Lächeln: „Das soll die ‚leichte Kavallerie der Kirche‘ sein?“. Unsere Umzüge sind Ausdruck dieser Krankheit.

14. Die Krankheit der geschlossenen Kreise – wo die Zugehörigkeit zum Grüppchen stärker wird als die zum Leib und, in manchen Fällen, zu Christus selbst. Auch diese Krankheit beginnt immer mit guten Absichten, aber mit der Zeit unterjocht sich die Mitglieder und wird ein Krebsgeschwür, das die Eintracht des Leibes bedroht und viel Übel verursacht – Anstoß, besonders für unsere geringsten Brüder. Die Selbstzerstörung oder der „Eigenbeschuss“ unserer Mitstreiter ist die heimtückischste Gefahr. Es ist das Böse, das von innen zuschlägt; und, wie Christus sagt: „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird“ (Lk 11,17).

15. Und die letzte: die des weltlichen Profits, der Zurschaustellung – wenn der Apostel seinen Dienst zu Macht umgestaltet und seine Macht zu einer Ware, um weltlichen Nutzen oder mehr Befugnisse zu erhalten. Es ist die Krankheit der Menschen, die unersättlich Befugnisse zu vervielfachen suchen und dafür imstande sind, zu verleumden, zu diffamieren und andere in Misskredit zu bringen, selbst in Zeitungen und Zeitschriften, natürlich um sich zur Schau zu stellen und sich als fähiger als die anderen zu präsentieren. Auch diese Krankheit schadet dem Leib sehr, denn sie bringt Menschen dazu, den Gebrauch jedes Mittels zu rechtfertigen, um ihr Ziel zu erreichen, oft im Namen der Gerechtigkeit und der Transparenz! Ich denke an einen Priester, der Journalisten anrief, um private und vertrauliche Dinge über seine Mitbrüder und Pfarrangehörige zu erzählen – und zu erfinden. Für ihn zählte nur, sich auf den Titelseiten zu sehen, denn so fühlte er sich „mächtig und interessant“ – aber er hat anderen und der Kirche sehr geschadet. Der Arme!

Abschluss der Ansprache

Liebe Brüder, diese Krankheiten und Versuchungen sind natürlich eine Gefahr für jeden Christen und jede Verwaltung, Gemeinschaft, Orden, Pfarrei und kirchliche Bewegung und können sowohl beim Einzelnen als auch in der Gemeinschaft vorkommen.

Ich muss klarstellen: Nur der Heilige Geist ist – die Seele des mystischen Leibes Christi, wie das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis sagt: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht“ – kann jede dieser Krankheiten heilen. Es ist der Heilige Geist, der jede echte Anstrengung zur Reinigung und jeden guten Willen zur Umkehr stützt. Er ist es, der uns verstehen lässt, dass jedes Glied sowohl an der Heiligung des Leibes wie auch an seiner Schwächung mitwirkt. Er ist es, der die Eintracht fördert [Papstpredigt am 30. Nov 2014]: „Ipse harmonia est [Er selbst ist die Eintracht]“, sagt der heilige Basilius. Der heilige Augustinus sagt uns: „Solange ein Teil zum Leib gehört, ist seine Heilung nicht vergebens; was hingegen abgeschnitten wurde, kann weder geheilt werden noch gesunden.“ (Augustinus, Predigt CXXXVII)

Die Heilung ist auch Ergebnis des Erkennens der Krankheit und der persönlichen und gemeinschaftlichen Entscheidung, sich heilen zu lassen und sich geduldig und mit Ausdauer der Behandlung zu unterziehen (Evangelii Gaudium, 25-33).

Wir sind also gerufen – in dieser weihnachtlichen Zeit wie auch immer in unserem Dienst und unsrem Leben – zu leben „von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut.“ (Eph 4:15-16)

Liebe Brüder,

einmal habe ich gelesen, dass Priester wie Flugzeuge seien: Man bemerkt sie nur, wenn sie abstürzen, auch wenn es so viele sind, die fliegen. Viele kritisieren sie und nur wenige beten für sie. Dieser Satz ist sympathisch aber auch sehr wahr, denn er zeigt die Wichtigkeit und die Zartheit unseres priesterlichen Dienstes; wie viel Schlechtes kann ein einziger Priester, der „abstürzt“, dem gesamten Körper der Kirche antun.

Um während dieser Tage, in denen wir uns auf die Beichte vorbereiten, nicht zu stürzen, bitten wir die Jungfrau Maria, Muttergottes und Mutter der Kirche, die Wunden der Sünde zu heilen, die ein jeder von uns auf seinem Herzen trägt, und die Kirche und die Kurie zu stützen, dass sie gesund und genesen sei, heilig und geheiligt, zum Lob ihres Sohnes und zu unserem Heil und dem der gesamten Welt. Bitten wir sie, uns die Kirche lieben zu lassen, wie Christus sie geliebt hat, ihr Sohn und unser Herr, und den Mut zu haben, uns als Sünder und seiner Barmherzigkeit Bedürftige zu erkennen und keine Angst zu haben, unsere Hände in ihre mütterlichen Hände zu legen.

Ich wünsche Ihnen allen gesegnete Weihnachten, Ihren Familien und Ihren Mitarbeitern. Und, bitte, vergessen Sie nicht für mich zu beten! Von ganzem Herzen: Danke!

(rv 21.12.2014 ord)

Quelle: http://de.radiovaticana.va/news/2014/12/23/die_papstansprache_an_die_kurie/1115831

 

https://www.youtube.com/watch?v=U7hEuTM7Sbs