Straßenexerzitien sind im Grunde Übungen, auf die wir uns, wie bei den meisten Exerzitien, über einen längeren Zeitraum einlassen sollten.
Gottes Geist weht leise, und gerade auf der Straße könnte man denken, dass sein Wehen nur nach längerem Hinhören wahrgenommen werden kann.
Aber regelmäßig auf den letzten Kirchen- und Katholikentagen schwärmten alle, die es erleben durften davon, wie viel auch schon in nur einer einzigen Stunde passieren kann. Viel mehr Zeit für eine Erfahrung auf der Straße haben die Menschen nämlich nicht, die sich seit einigen Jahren immer auf den großen Kirchenevents auf diese Erfahrung einlassen. Straßenexerzitien light, sozusagen.
In diesem Jahr, auf dem Kirchentag in Berlin, durfte ich diese Erfahrung aus der Perspektive eines Begleitenden auch machen.
Gleich zu Anfang wurde ich mit meinen eigenen Ängsten stark konfrontiert: Die Frage kam auf, wer von den anwesenden BegleiterInnen alleine eine Gruppe begleiten wolle, und wer dies lieber zu zweit machen würde. Für mich war klar, dass ich die Begleitung nicht alleine machen könnte und suchte mir eine Partnerin, neben der ich mich sicher fühlen würde. Aber als dann die Menschen von ihrer Stunde auf der Straße zurück kamen, mussten wir aufgrund der Fülle an Teilnehmenden die Gruppe teilen und ich wurde ziemlich abrupt in die Situation gestellt, eine Gruppe von 9 Menschen alleine zu begleiten. Gut getan hat mir hier gleich die Tatsache, dass es tatsächlich Leute gab, die sich recht sicher waren, dass sie von mir begleitet werden wollten. Ohne Zögern ordneten sie sich schnell mir zu, von dem ich überzeugt war, dass mir meine Inkompetenz schon an den Augen anzusehen sein müsste.
Zum ersten mal, seit dem ich als Begleiter bei den StrEx dabei bin, sitze ich allein mit einer Gruppe. Ohne den doppelten Boden, dass mich eine zweite Person „retten“ kann, wenn ich etwas unglaublich Dummes sage, ohne die Möglichkeit, mir hinterher Lob und Tadel abholen zu können. Aber die Klarheit, mit der sich meine Teilnehmenden für eine Begleitung durch mich entschieden haben schenkte mir Mut und ich fühlte mich plötzlich ganz leicht und offen.
Und dann erklärte ich meiner Runde in kurzen knappen Sätzen, wie Straßenexerzitien funktionieren und ein wichtiger Aspekt, den ich ihnen erklärte war der, dass ich in meiner Rolle hier sowieso nicht der „Anleiter“ dieser Gruppe bin, sondern, dass ich sie „begleite“. Und, dass ich hier nicht der einzige Begleiter in der Runde bin, weil die Gruppe sich gegenseitig begleitet. So wurde dann auch mir klar, dass ich gar nicht alleine begleite… ich kann die Begleitung gut in die Runde abgeben. Und so war es dann auch:
Als Kenner der Straßenexerzitien habe ich sicherlich eine besondere Rolle in dieser Runde gehabt, aber es war auch wirklich schön, mitzubekommen, wie die Gruppe immer mutiger wurde und sich immer stärker gegenseitig begleitete. Und nur so kam der schöne Blumenstrauß an Rückmeldungen und Eindrücken zustande, den wir uns alle gegenseitig schenken konnten.
Einmal mehr weiß ich, warum es schön ist, Straßenexerzitien zu begleiten. Ich schenke meine Aufmerksamkeit und ich erhalte eine Fülle an Geschenken zurück. In Form von Geschichten, Reaktionen und Entwicklungen zwischen uns, in einer Gruppe, die fast zufällig und nur für kurze Zeit zusammen gekommen ist.
Da gab es:
- Einen gold glänzenden, aber verarmten Christus für den, dem es schwer fiel, seinen Rucksack in der Gemeinde zu lassen (der es dann aber trotzdem getan hat).
- Eine Frau, die sich gerade am „falschen Ort“ aufhielt, für unseren Teilnehmer jedoch genau zur richtigen Zeit, am richtigen Ort das richtige und wichtige zu sagen hatte.
- einen Gott, der unserer Teilnehmerin erlaubte, das erwachsen sein abzulegen.
- Kinder, die spielten und dabei die Lektion erteilten, wie nahe Streit und Versöhnung beieinander liegen können.
- Die Erfahrung, dass Exerzitien auch auf einer grünen Verkehrsinsel mitten im Straßenverkehr, oder mit Kind auf dem Kinderspielplatz ertragreich sein können.
….und viele andere Geschenke, die wir uns gegenseitig in unseren Gruppen gemacht haben.
Ich bin dankbar, diese Erfahrungen machen zu dürfen, dankbar, Straßenexerzitien begleiten zu dürfen.
Stephan