Von Lore Weber
Der Begriff „Exerzitien“ war für mich besetzt von dem Verständnis eines Erlebens der inneren Hinwendung zu Gott. In den Strassenexerzitien fand ich ein ganz anderes Verständnis: Jesus unter den Menschen und zwischen den Menschen zu erleben. Er, der von sich sagt, dass Er die Strasse ist – „ich bin der Weg…..“ (Joh. 14,6) – Ihm wollte ich in und bei den Menschen begegnen und Seine Sprache verstehen, wenn Er sagt: „kommt her zu mir alle, die Ihr mühselig und beladen seid.“ (Mat 11,28).
Unsere Gruppe der Teilnehmenden lebte in einer Notunterkunft für Obdachlose über die 10 Tage und hat dort andeutungsweise nachempfunden, warum Jesus gerade solche Menschen einlädt, an Seiner göttlichen Liebe teilzuhaben.
Jeden Tag unterwegs auf den Strassen Berlins: Da saß ein Mann, im hohen Rentenalter, auf einer Bank am Leonhardplatz, einem Platz in Wedding, auf dem sich Menschen treffen, die ihren Platz in unserer Gesellschaft verloren haben. Seine Schuhe, seine Kleidung , sein Rucksack arm und notdürftig gepflegt. Sein Gesicht stumpf und traurig. Seine Bartstoppeln grau und scheinbar nicht wert, rasiert zu werden. Ich setzte mich zu ihm, sprach ihn vorsichtig an und entdeckte eine stille Würde in diesem Menschen: Jesus schien neben mir zu sitzen! Im Blick auf das von Unkraut umwachsene hinter uns aufragende Kirchengebäude erklärte mir dieser Mann, diese Kirche sei schon lange geschlossen, weil man sie nicht mehr brauche, und „Gott ist doch überall“! Auch kam aus seinem Munde sonst kein verachtender Schimpf auf die uns umgebenden und alkoholisierten armen Menschen auf seiner Bank. Er schien sie anzusehen, ohne wirklich dazu zu gehören.
Da war die junge Afrikanerin im Jobcenter im Wedding, die mir aus ihrer Lebenssituation erzählte: alleinerziehende, verlassene Mutter von 3 Kindern, Hartz IV-Empfängerin, fließend deutsch sprechend, Begründerin einer Migrantenhilfe zur deutschsprachigen Begleitung bei Ämtergängen und Anträgen, ehrenamtlich helfend, selber auf Hilfe angewiesen. Da Jobcenter in der Regel nur deutschsprachig geführt werden, haben die muttersprachlichen Neuankömmlinge keine Chance, ihre Rechte zu finden. Ich kenne den Glauben dieser afrikanischen Frau nicht, fand aber in ihr im Jobcenter den Geist Jesu der selbstlosen Hingabe, selber hilflos unterwegs! – Ich danke ihr, ohne ihr wahrscheinlich je wieder zu begegnen.
Doch, ich begegne Jesus wieder, in je anderer Gestalt, in anderen Situationen, unterwegs, auf den Strassen meines Lebens: bei mir zu hause, in der Grossen Stadt, im Jobcenter, anderswo….. Sein Geist der Liebe , der Zuwendung zu den Unteren und Kranken in unserer Gesellschaft – Sein Geist wird das letzte Wort haben, wenn Jesus der Messias wiederkommt. Ihn anzunehmen, ihm täglich zu begegnen, von ihm die Liebe zu allen Mitmenschen zu lernen, die „Straße“ zu Gottes Reich zu erkunden und dem Jesus sich anzuvertrauen, der im Alltag der Emmausjünger und in unserem Alltag heute präsent ist.
So habe ich die Straßenexerzitien erlebt.
Dank an Christian Herwartz, Iris Weiss, Marita Lersner und Jens Sommer, die uns das Buch der neutestamentlichen Jesusgeschichten als Buch Der „Straße“ öffnen halfen.
Eine Antwort auf „Was haben mir 2016 die „Straßenexerzitien“ in Berlin gezeigt?“