Mündigkeit bewahren und zu Verantwortung stehen
Als Gesellschaft wollen wir einander Rechte und Schutz gewähren, diese sind festgehalten in Gesetzen. Nun beobachten wir in letzter Zeit immer häufiger, dass die Gewährung und der Zugang zu diesen grundlegenden Rechten in Deutschland, Europa aber auch in anderen Staaten an private Unternehmen übergeben werden.
Altenheime und Krankenhäuser werden von Betreiberfirmen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt. Schutz und Hilfe bei Unfällen kommt immer öfter von privaten Dienstleistern.
Verwaltungen übergeben die Verantwortung für Gemeindezentren und Flüchtlingsunterkünfte und ersetzen sie durch Verträge mit Betreiberfirmen. Die Verantwortung für Flüchtlingsheime, Übergangsunterkünfte und auch das Abschiebegefängnis am Berliner Flughafen wurden und werden an Vertragspartner ausgelagert.
Grenzsicherung ist ein anderes Beispiel für dieses Vorgehen.
Doch was heißt es für Schutzsuchende wenn sie sich nicht mehr an „die Gemeinde“ wenden, sondern an einen „beauftragten Vertragspartner“ der Gemeinde? Flüchtlinge, Alte und Kranke haben es schwerer, wenn sie Schutz brauchen und um die Einhaltung ihrer Rechte bitten müssen. Sie bitten dann nicht mehr uns als Gesellschaft um Hilfe und Unterstützung. Sie wenden sich an einen Betreiber, der in erster Linie betriebswirtschaftlich denkt. Statt sich der Verantwortung für die Einhaltung von Rechten und die Beseitigung von Missständen zu stellen, wird diese oft zwischen Gemeinde und beauftragtem Vertragspartner dem jeweils anderen zugeschoben.
Auf diesem Weg verlieren die Betroffenen, aber auch wir als Gesellschaft, einen Teil unserer Mündigkeit. Privatrechtlich braucht es einen Kläger und einen Beklagten. Diese fechten dann unter den Augen von Anwälten und Richtern das aus, was weite Teile der Gesellschaft betreffen kann.
Dabei stoßen sie an Grenzen der Rechtsprechung. Der Weg durch die Instanzen ist kräftezehrend und muss von dem, der eigentlich Schutz sucht, allein durchgestanden werden. Die Folgen und Entscheidungen trägt dann die Gemeinschaft, die diesen Rechtsprechungen unterliegt.
Wir verlieren ein Stück unserer Mündigkeit, wenn wir soziale Hilfs- und Schutzinstanzen, die uns alle betreffen, in einen Rahmen verlagern, wo es nur noch um den einzelnen Kläger und das private Unternehmen geht.
Wir verlieren Rechte, wenn ein Schaden entstehen muss, bevor die Verletzung von Menschen- und Schutzrechten überhaupt diskutiert und kritisiert wird. Lange bevor es zu Gerichtsverfahren kommt, spüren Menschen das Leid ihrer Mitmenschen. Lange bevor es zu einer fairen Rechtsprechung kommt, entstehen Schäden und Leid, die nicht mehr auszugleichen sind.
Wir bitten daher heute um den Mut, diese Missstände in die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu rücken. Wir bitten um Wachsamkeit und Mut, zu unserer Verantwortung zu stehen und Menschen zu schützen, bevor wir nur noch die Schädigung beklagen können. Wir bitten um den Mut für diejenigen, die zu ihren Verantwortungen stehen können, statt sie zu einem Verwaltungsvorgang zu erklären, in dem nicht mehr sie, sondern nur noch die Vertragsparteien betroffen sind.
Die Einladungstexte zu früheren Friedensgebeten stehen im Internet: www.friedensgebet-berlin.de