1) Mittelbayrische Zeitung Samstag den 31.5.14 Die Exerzitien auf der Straße
„Gottes Antwort kann man nicht erzwingen“
Jesuit Christian Herwartz aus Berlin schickt die Katholikentagsbesucher ins Getümmel. Sie sollen dort meditieren und nach ihrem Gott suchen.
In Regensburg erklärt Christian Herwartz das Prinzip der Straßenexerzitien. Foto: Schönberger
Von Bettina Mehltretter, MZ
Regensburg. Christian Herwartz sieht mit seinem alttestamentischen Bart aus wie ein Hirte. Um ihn herum, in einem Klassenzimmer der St.-Marien-Schulen, sitzen beinahe 40 Gläubige. Was Herwartz zu ihnen sagt, klingt wie eine Drohung: „Ich sende euch wie Lämmer unter die Wölfe. Nehmt kein Futter mit!“
Aber die Gläubigen sind freiwillig da. Bei den Straßenexerzitien wollen sie in sich hineinhorchen. Sie wollen Ausschau halten nach dem Ort, an dem Gott auf sie wartet. Im lauten Regensburg, das zum Katholikentag noch lauter ist, ist das eine Herausforderung. Doch Herwartz, ein Jesuit aus Berlin, will verhindern, dass die Gläubigen gleich „angebaggert“ werden von den bunten Ständen und der Vielfalt des Angebots. „Lasst euer Portmonee da und den Rucksack“, sagt er. „Ihr kauft euch sonst ein Überlebenspaket.“ Skepsis macht sich breit.
Viele der Gläubigen werden später trotzdem ihr Gepäck in die Mitte des Stuhlkreises legen. Sie vertrauen „dem Christian“, den sie duzen dürfen. Dabei kennt kaum einer seine Geschichte: In Berlin ist der frühere Arbeiterpriester ein Engel der Hilflosen. In einer der Kreuzberger Straßen, in die sich selten ein Tourist verirrt, lebt er mit Obdachlosen, Menschen ohne Ausweis und Abhängigen in einer Kommune. Vorvergangenen Freitag erst stand ein Mann vor seiner Tür, der am selben Tag aus der Abschiebehaft entlassen worden war. Am Montag darauf sollte er sich bei den Behörden melden. Ein andermal klingelte ein junger Vater, an der Hand sein dreieinhalbjähriges Kind. Er hatte es vor dem Lebensgefährten seiner Ex-Frau retten wollen, der schon wegen Kindesmisshandlung in Haft saß.
Barfuß, bei zwölf Grad Celsius
Herwartz legt den Teilnehmern der Straßenexerzitien eine dritte Regel auf: „Zieht eure Schuhe aus.“ Das aber geht allen zu weit. Sie protestieren kopfschüttelnd. Zwölf Grad kühl ist es, und die vergangenen Regentage stecken ihnen noch in den Knochen. Der Jesuit schmunzelt: „Wie ihr den Satz mit den Schuhen übersetzt, ist natürlich euch überlassen.“ Es gehe nicht darum, frieren zu müssen für Gott, sondern darum, jegliche Distanz abzulegen. Barfuß stünde der Mensch verletzlich und gewaltlos vor anderen. Horwartz’ vierte Regel: „Grüßt nicht unterwegs.“ Niemand soll sich zu etwas gezwungen fühlen. Sonst spüre er nicht, wo der Auferstandene wirkt, der ein Versteckspiel mit den Gläubigen spielt. Als Gärtner trat der einst den Frauen am Grab gegenüber, als Fremder den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. „Hey Leute, hier bin ich!“, schrie er nie.
Das Modell der Straßenexerzitien ist Ende der 1990er-Jahre in Herwartz’ Wohngemeinschaft entstanden. Menschen hatten um Exerzitienbegleitung gebeten. Wie die biblische Figur Mose waren sie in die Fremde gezogen und hatten brennende und nicht brennende Dornbüsche gefunden. Wie Mose hatten sie ihre Schuhe ausgezogen und an diesem Ort auf eine Botschaft gewartet.
Schnurstracks ins Getümmel
Aufbruch im Klassenzimmer! Die Gläubigen verlassen den Raum, die Schule. Manche laufen Richtung Dörnbergpark, andere tauchen ins Katholikentagsgetümmel ein. Werden sie bei den Straßenexerzitien überhaupt eine Erfahrung machen, die sich nachher, beim Wiedersehen in der Gruppe, erzählen können? Herwartz kennt diese Frage. Allerdings breche in den Teilnehmern immer etwas auf. Ob ihnen das ausreicht, sei fraglich. „Man kann den lieben Gott nicht zwingen, dass er genau in vier Stunden eine Antwort gibt“, sagt der Jesuit.
Eineinhalb Stunden später. Die Gläubigen treffen sich auf dem Neupfarrplatz wieder, im Trubel des Katholikentags. Auf dem Boden stapeln sich ihre Rucksäcke. Kinder laufend lärmend um die Gruppe, als Herwartz einen Impuls spricht, der helfen soll, in kleinen Gruppen über das Erlebte zu sprechen.
Dann verschwindet der Jesuit mit einer Handvoll Teilnehmern auf der Empore der Neupfarrplatzkirche. Andere Gruppen ziehen sich in andere Winkel der Kirche zurück. Andrea, erfahren in Exerzitien, setzt sich mit fünf Frauen, darunter zwei Ordensschwestern, links neben den Altar. Ein zweiter Helfer kommt hinzu, Klaus. Die beiden Exerzitienbegleiter wollen zuhören, wenn die Frauen von ihren Erlebnissen erzählen.
Eine aus dem Landkreis Schwandorf spricht davon, wie sehr sie ein Mann beeindruckt hat, der sich ohne Scheu auf eine Bank in der Cafeteria der St.-Marien-Schulen schlafen gelegt hat. Wie ihr dessen Verhalten Mut gemacht hat, selbst loszulassen. Und eine der Ordensschwestern, die bald für längere Zeit nach Indonesien aufbricht, rekapituliert ihre Begegnung mit einem Obdachlosen, der wunderbar Flöte spielte. „Wenn jeder nur das tut, was er kann, können wir die Welt retten“, erklärte ihr der Mann.
Die junge Nonne strahlt, als sie von dem Gespräch erzählt. Der Satz des Flötenspielers mache Mut für Indonesien.
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2) Mittelbayrische Zeitung Montag 1. Juni 14
Ökumenische Netzwerke wurden gestärkt
Große Augenblicke ökumenischer Nähe hat der evangelische Studentenpfarrer Friedrich Hohenberger in diesen Tagen erlebt. Dennoch bleibt er skeptisch.
Große Geste beim Zentralen Ökumenischen Gottesdienst am Freitagabend im Dom: Katholiken und Protestanten verknüpfen Bänder, damit ein gemeinsames Netz aus Brücken entsteht.
Foto: epd
Von Susanne Wiedamann, MZ
Regensburg. „Ich bin ein alter Kirchentagshase“, bekennt Friedrich Hohenberger. Regensburgs evangelischer Studentenpfarrer war seit 1979 Gast auf fast jedem Evangelischen Kirchentag, auf den beiden Ökumenischen Kirchentagen – und vor 24 Jahren zum ersten Mal auf einem Katholikentag. Damals gestaltete er zum Ende der Versammlung der Katholiken gemeinsam mit dem Jesuitenpater Christian Herwartz in Berlin-Kreuzberg einen ökumenischen Gottesdienst. „Wir hatten 60 Plätze, und es kamen 400 bis 500 Leute“, erinnert er sich lächelnd.
Der Jesuit Christian Herwartz war auch an diesem Sonntag an seiner Seite, beim ökumenischen Gottesdienst der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in der Neupfarrkirche aus Anlass des Katholikentags. Zwar war der Andrang kleiner als damals, aber die Kirche war gut gefüllt, fast alle Sitzplätze waren belegt. Und Hohenberger freut sich: „Mehr als die Hälfte der Gäste waren Katholiken. Es kamen viele auf mich zu, die sagten, es war ihnen sehr wichtig, einen ökumenischen Gottesdienst zu besuchen.“
Getrennt oder vereint?
Beim Thema „Ökumene und Katholikentag“ ist Hohenberger hin- und hergerissen. Das merkt man, auch wenn er ruhig und sachlich Stellung nimmt. Einerseits berichtet er von großartigen Augenblicken der ökumenischen Nähe, andererseits gibt es immer noch Barrieren, die nicht beseitigt wurden, Brücken, die ungebaut geblieben sind. Beim Festgottesdienst am Sonntag morgen im Stadion der Universität seien die Protestanten zwar willkommen gewesen. „Aber es ist ein Schmerz, dass wir nicht zur Kommunion eingeladen sind.“
Auf offizieller, institutionalisierter Ebene geschieht die Annäherung eher zaghaft, in kleinsten Schritten. Im Privatleben, im Alltag wird Ökumene dagegen oft ganz selbstverständlich gelebt, weiß Hohenberger. „Die Leute haben eine große Sehnsucht nach Gemeinsamkeit. Man wünscht sich, dass so ein ehrlicher Umgang auf allen Ebenen stattfindet.“stärkt
Große Augenblicke ökumenischer Nähe hat der evangelische Studentenpfarrer Friedrich Hohenberger in diesen Tagen erlebt. Dennoch bleibt er skeptisch.
Jesuitenpater Christian Herwartz (l.) und der evangelische Studentenpfarrer Friedrich Hohenberger Foto: Wiedamann
Dennoch ist Hohenberger auch des Lobes voll. „Es war schön, dass der Katholikentag hier war! Da kommen Menschen, die eines Sinnes sind, deren Grundbasis der Glaube ist. Das ist doch die kleinste Basis der Ökumene. Und die funktioniert“, berichtet der Geistliche aus etlichen Gesprächen. Im Vorfeld des Katholikentags sei die evangelische Kirche in die Vorbereitungen gut einbezogen worden. Und für die evangelischen Pfarreien sei es selbstverständlich gewesen, mitzuhelfen und beispielsweise Räume zur Verfügung zu stellen. Allerdings auch für kritische Katholiken.
Die Kirchengemeinde Dreieinigkeitskirche gab mit dem Ökumenischen Zentrum „Katholikentag Plus“ in Kooperation mit der Leserinitiative Publik Forum und der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ solchen Referenten ein Forum, die im offiziellen Programm des Katholikentags nicht auftauchten: vom Theologen Eugen Drewermann bis zum Sprecher der österreichischen Pfarrerinitiative, Helmut Schüller. „Auch das ist Ökumene“, sagt Hohenberger.
Dass die Ökumene durch den Katholikentag nennenswerte Fortschritte erzielt hat, glaubt Hohenberger eher nicht. Doch: „Der Katholikentag hat die ökumenischen Netzwerke gestärkt!“ Seiner Beobachtung nach gab es viele schöne Zeichen und Aktionen der ökumenischen Verbundenheit, wie die Tages- und Stundengebete in der Bruderhauskirche.
Klare Worte von Käßmann
Was waren für ihn wichtige Stationen oder sogar Höhepunkte des Katholikentags? Hohenberger nennt unter anderm den Auftritt der evangelischen Reformationsbotschafterin Margot Käßmann, die versuchte, katholische Bedenken, die Protestanten wollten 2017 einen Lutherkult austoben, zu entkräften suchte. Und die Bibelarbeit von Rabbinerin Elisa Klapheck. „Da verschwinden die Grenzen. Da betreten wir Neuland.“
Ein Höhepunkt war laut Hohenberger der Zentrale Ökumenische Gottesdienst am Freitagabend im Dom, nach dem rund die Hälfte der Gläubigen noch zur anschließenden ökumenischen Vigil sitzenblieb. Dass der Gospelchor „Deliverance“, der an der Hochschulgemeinde angesiedelt sei, den Gottesdienst im Dom mitgestalten durfte, freut den Pfarrer nebenbei auch. „Es war schön, dass der Dom so voll war. Es war eine Abstimmung mit den Füßen. Die Leute wollten ökumenisch feiern!“