Exerzitien zur Ökumene der Märtyrer, Berlin

vom 29. März − 1. April 2015

Vor 500 Jahren fand in Deutschland die Reformation statt. Vor 70 Jahren wurde die Trennung im Land der Reformation durch die „Ökumene der Märtyrer“ überwunden.

Ein Beispiel von mehreren: Der Vorsitzende des NS-Volksgerichtshofs Freisler verurteilte den Protestanten Helmuth James von Moltke und den Katholiken Alfred Delp SJ in einem gemeinsamen Urteil am 10. Januar 1945 zum Tod durch den Strang. Moltke schreibt zwei Tage nach dem Urteil an seine Frau Freya:

Helmuth James Graf von Moltke

… und dann wird dein Wirt [Moltke selbst] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft zu Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurchsteht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das alles ist ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen (…) – sondern als Christ und gar nichts anderes.

 

Und er fügt hinzu:

 Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist dein Wirt ausersehen gewesen: all die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzack-Kurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.

 

Alfred Delp

Die in Kreisau begonnene fruchtbare ökumenische Auseinandersetzung fand im Gefängnis in Tegel ihre Fortführung: Moltke und Delp verbrachten die letzten Monate ihres Lebens zusammen mit anderen Zelle an Zelle in ökumenischer Lese-, Bet- und Gesprächsgemeinschaft. Sie vereinbarten eine gemeinsame Schriftlesung, beteten mehrmals gemeinsam eine Novene (ein neuntägiges Gebet), sie nutzten die Hofgänge zu intensivem theologischen Austausch, der auch den mitangeklagten evangelischen Theologen Eugen Gerstenmaier und den Katholiken Fugger von Glött einschloss. Nicht zuletzt verband sie die geistliche Mitfeier des Abendmahls.

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Bischof Ulrich (Delegation der VELKD) + Papst Franziskus

Grußwort des Leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Landesbischof Gerhard Ulrich, an Papst Franziskus

18. Dezember 2014

Eure Heiligkeit,

im Namen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes grüße ich Sie herzlich. Es ist uns eine große Ehre und wir freuen uns sehr, dass Sie diese Begegnung möglich gemacht haben.

2017 – 50 – 15: Diese drei Zahlen haben wir Ihnen mitgebracht. Sie beschreiben unseren ökumenischen Weg.

2017 – wir gehen auf die 500. Wiederkehr der Reformation zu. Dies ist für uns lutherische Christinnen und Christen natürlich ein bedeutendes Ereignis, das wir gebührend reflektieren und dessen theologische Anstöße wir für die heutige Zeit fruchtbar machen wollen. Für Lutheraner auf der Weltebene wie auch in Deutschland ist dabei völlig klar, dass wir diesen Weg auf das Gedenkjahr 2017 hin nur zusammen mit der römisch-katholischen Kirche gehen können. Gerade weil vor 500 Jahren die historischen Ereignisse Martin Luther in Auseinandersetzungen und Konflikt mit seiner Kirche gebracht haben, an deren Ende gegenseitige Verletzungen, ja die Trennung standen, gerade weil dem so ist, wollen wir heute geschwisterlich bedenken, wie viel wir mittlerweile als gemeinsamen Glaubensschatz wiederentdeckt haben: hier ist meines Erachtens besonders das ‚solus Christus‘, und das ‚solo verbo‘ hervorzuheben, die im Zentrum lutherischen Denkens stehen und über die heute eine große ökumenische Einigkeit herrscht. Anders kann ich, Eure Heiligkeit, Ihre jüngste Enzyklika gar nicht verstehen, die mit den Worten beginnt: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen“. Jesus Christus und das Wort des Evangeliums. So nahe sind wir beieinander.

Damit bin ich bei der Zahl 50: Genau 50 Jahre ist es her, dass das Ökumenismusdekret das Miteinander unserer Kirchen ermöglicht hat. Am Anfang des Dekrets heißt es: „Die Einheit aller Christen wiederherzustellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des … Zweiten Vatikanischen Konzils. Denn Christus der Herr hat eine einige und einzige Kirche gegründet.“ Diese Worte haben das Tor zum lutherisch-katholischen Dialog geöffnet. Dank des Konzils dürfen wir auf 5 Jahrzehnte der Weggemeinschaft zurückblicken.

Schließlich die15: Vor 15 Jahren haben die römisch-katholische Kirche und der Lutherische Weltbund die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unter- zeichnet. Unsere Kirchen konnten über eines der schwierigsten Themen, das Jahrhunderte den Gegensatz zwischen Katholiken und Lutheranern markierte, einen differenzierten Konsens herstellen. Völlig zu Recht hat Seine Heiligkeit, Papst Johannes Paul II., die Erklärung als „Meilenstein auf dem nicht leichten Weg der Wiederherstellung der vollen Einheit unten den Christen“ gewürdigt.

50 und 15: Auf diese beiden Zahlen baut auch das für unsere beiden Kirchen so gewichtige Dokument „Von Konflikt zur Gemeinschaft“ auf: Es würdigt die Früchte von 50 Jahren Dialog und arbeitet mit den theologischen Einsichten der Gemeinsamen Erklärung, die wir seit 15 Jahren teilen. Diese beiden Daten sind die Basis für den bilateralen Bericht und haben die Überlegungen zu einem gemeinsamen lutherisch- katholischen Reformationsgedenken möglich gemacht.

Unter dem Motto „2017 gemeinsam unterwegs“ haben wir Katholiken und Lutheraner in Deutschland uns in den letzten Monaten dem Wagnis gestellt, das internationale Dialogdokument im Internet diskutieren zu lassen. Noch nie haben wir zuvor einen Rezeptionsprozess von Anfang an ökumenisch vorbereitet und gestaltet. Wie groß das gewachsene Vertrauen zwischen unseren Kirchen mittlerweile ist, zeigt auch der besondere Umstand, dass Bischof Feige heute als Gast zu unserer Delegation gehört und dass heute Abend Bischof Feige und Landesbischof Manzke gemeinsam die Ergebnisse unseres Internetprojekts an Kardinal Koch und LWB-Generalsekretär Junge überreichen werden. Wir sind Kardinal Koch und Generalsekretär Junge dankbar, dass sie sich so intensiv dafür einsetzen, dass der LWB und Rom tatsächlich auf das Jahr 2017 hin gemeinsam unterwegs sind, des Jubiläums miteinander gedenken und die bereits erreichten Früchte feiern.

Doch dürfen wir nicht im Erreichten verharren, sondern wir beten und setzen uns für vertiefte Beziehungen ein. Ich persönlich bin ein großer Freund einer „wertschätzenden Erkundung“ in Sachen Ökumene – und ausgesprochen neugierig, welche weiteren wertvollen Früchte beim anderen noch zu entdecken sind. Dazu müssen wir uns aber aufmachen – zu dem anderen hin. Da hilft nicht die Haltung eines unbeteiligten Zuschauers, sondern allein die eines aktiven Erntehelfers. Als solche Erntehelfer sind wir zwar nicht blind für Hindernisse und Felsbrocken, die noch an die Seite zu räumen wären, damit wir zu einer sichtbaren Einheit kommen, vor allem aber sind wir hellwach für das, was Christus von seiner Kirche will.

Die Seligsprechung der Lübecker Märtyrer 2011 ist für mich so ein Beispiel: drei katholische Priester und ein lutherischer Pfarrer wurden 1943 durch das Naziregime hingerichtet. Die katholische Kirche hat bei der Seligsprechung auf Teile ihrer festen offiziellen Liturgie verzichtet, damit des evangelischen Bruders mitgedacht werden konnte. „Sag niemals drei, sag immer vier“, daran wurde immer festgehalten. Und dabei haben wir entdeckt: Es gibt eine Ökumenebewegung, die viel älter ist als 50 Jahre, die kein Konzil brauchte. Das ist die Ökumene des Widerstands. Eine Glaubensbewegung, die jene über die Konfessionsgrenzen hinweg stark und mutig gemacht hat, die nicht länger Unrecht und Völkermord hinnehmen wollten. Und solch eine Bewegung aller Konfessionen brauchen wir heute so dringend wie damals! Angesichts der Kriege und der Gewalt, angesichts von Terror, Völkermord und Vertreibung müssen wir deutlich die Stimme erheben und zwar gemeinsam! Jene, die vor Gewalt fliehen und ihre Heimat verlassen, erwarten zu Recht, dass wir uns einsetzen für sie, dass sie offene Türen und Herzen finden, dass wir Frieden und Wohlstand, Freiheit und Gemeinschaft mit ihnen teilen.

Mit solch einer Glaubenshaltung des aktiven Erntehelfers werden wir dann sicherlich auch weitere theologische Gemeinsamkeiten entdecken, selbst in dem, was uns bislang trennt. Und dies führt hoffentlich zu weiteren verbindlichen Schritte und Verein- barungen. Kardinal Koch hat an verschiedenen Stellen bereits eine Gemeinsame Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt ins Gespräch gebracht. Dies finde ich ein lohnenswertes Ziel. Die Zeit ist reif dafür, dass wir erneut und vertieft über unsere ekklesiologischen und amtstheologischen Unterschiede reden auf der Suche nach dem dahinterliegenden differenzierten Konsens. Warum könnte nicht 2017 der Startschuss für ein solches Projekt sein? Und erste Gehübungen sollten wir bereits jetzt machen. Wir als deutsche Lutheraner würden uns jedenfalls sehr freuen, wenn wir in Deutschland mit unseren römisch-katholischen Geschwistern mithelfen könnten, dieses Projekt anzustoßen.

50 Jahre gemeinsamer Dialog, 15 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungs- lehre, 2017 als gemeinsam gefeiertes Christusfest. Möge Gott uns seinen Geist und seine Führung schenken, dass neben diesen dreien bald weitere Zahlen die Früchte unseres gemeinsamen Wegs symbolisieren können.

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Papst Franziskus: Ansprache an die Delegation der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) am 18.12.2014 im Vatikan:

Exzellenzen, sehr geehrte Herren,

ich begrüße Sie herzlich und danke Bischof Ulrich für seine Worte, die ein klares Zeugnis seines ökumenischen Engagements sind. Ich grüße auch die anderen Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands und der Ökumenischen Kommission der deutschen Bischofskonferenz, die zu einem ökumenischen Besuch in Rom weilen.

Der offizielle Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken kann heute auf fast fünfzig Jahre intensiver Arbeit zurückblicken. Der beachtliche Fortschritt, der mit Gottes Hilfe erreicht wurde, ist eine solide Grundlage für eine echte, im Glauben und in der Spiritualität gelebte Freundschaft. Ungeachtet der theologischen Differenzen, die in verschiedenen Glaubensfragen noch bestehen, ist das Leben unserer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die heute einen gemeinsamen ökumenischen Weg beschreiten, von Zusammenarbeit und geschwisterlichem Miteinander gekennzeichnet. Wie der heilige Johannes Paul II. in der Enzyklika Ut unum sint betont hat, ist die ökumenische Verantwortung der katholischen Kirche nämlich eine wesentliche Aufgabe der Kirche selbst, die von der Einheit des Dreieinen Gottes zusammengerufen und auf sie hin ausgerichtet ist. Einvernehmlich erstellte Texte wie die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, die vor fünfzehn Jahren in Augsburg offiziell unterzeichnet wurde, sind wichtige Meilensteine, die erlauben, den eingeschlagenen Weg zuversichtlich fortzusetzen.

Das gemeinsame Ziel der vollen und sichtbaren Einheit der Christen scheint bisweilen in die Ferne zu rücken, wenn im Dialog selbst unterschiedliche Interpretationen dessen auftreten, was die Kirche und was ihre Einheit ist. Trotz dieser noch offenen Fragen dürfen wir nicht aufgeben, sondern müssen uns vielmehr auf den nächsten möglichen Schritt konzentrieren. Vergessen wir nicht, dass wir gemeinsam einen Weg der Freundschaft, der gegenseitigen Achtung und der theologischen Forschung gehen, einen Weg, der uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Eben darum wurden am vergangenen 21. November die Glocken aller Kathedralen in Deutschland geläutet, um an allen Orten die christlichen Brüder und Schwestern zu einem gemeinsamen Gottesdienst anlässlich des fünfzigsten Jahrestags der Verkündigung des Konzilsdekrets Unitatis redintergratio einzuladen.

Ich freue mich, dass die Kommission für den bilateralen Dialog zwischen der deutschen Bischofskonferenz und der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands im Begriff ist, ihre Arbeit über das Thema „Gott und die Würde des Menschen“ abzuschließen. Von größter Aktualität sind die Fragen, welche die Würde der menschlichen Person am Anfang und am Ende ihres Lebens betreffen, wie auch jene zur Familie, zur Ehe und zur Sexualität – Fragen, die nicht übergangen oder vernachlässigt werden dürfen, nur weil man den bisher erreichten ökumenischen Konsens nicht aufs Spiel setzen will. Es wäre sehr schade, wenn es angesichts dieser wichtigen, mit dem menschlichen Dasein verknüpften Fragen zu neuen konfessionellen Differenzen kommen würde.

Der ökumenische Dialog kann heute nicht mehr von der Realität und dem Leben unserer Kirchen getrennt werden. Im Jahr 2017 gedenken lutherische und katholische Christen gemeinsam des fünhundertsten Jahrestags der Reformation. Aus diesem Anlass werden Lutheraner und Katholiken zum ersten Mal die Möglichkeit haben, weltweit ein und dasselbe ökumenische Gedenken zu halten, nicht in Form einer triumphalistischen Feier, sondern als Bekenntnis unseres gemeinsamen Glaubens an den Dreieinen Gott. Im Mittelpunkt dieses Ereignisses werden also neben der Freude, miteinander einen ökumenischen Weg zu gehen, das gemeinsame Gebet und die innige Bitte an unseren Herrn Jesus Christus um Vergebung für die wechselseitige Schuld stehen. Darauf nimmt das von der lutherisch-katholischen Kommission für die Einheit erstellte und im vergangenen Jahr veröffentlichte Dokument unter dem Titel „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ bedeutungsvoll Bezug. Möge dieses Reformationsgedenken uns alle ermutigen, mit Gottes Hilfe und mit der Unterstützung durch seinen Geist weitere Schritte zur Einheit zu vollziehen und uns nicht einfach auf das zu beschränken, was wir bereits erreicht haben.

In der Hoffnung, dass Ihr Besuch dazu beiträgt, die gute Zusammenarbeit zu stärken, die zwischen Lutheranern und Katholiken in Deutschland und in der Welt besteht, rufe ich von Herzen den Segen des Herrn auf Sie und auf Ihre Gemeinschaften herab.

(C) 2014 KNA Katholische Nachrichten-Agentur GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

Papst zum Reformationsgedenken eingeladen

8. November 2014

Die evangelische Kirche hat Papst Franziskus zu einer gemeinsamen Feier des Reformationsjubiläums in drei Jahren eingeladen. Das Gedenken an den Beginn der Reformation durch Martin Luther 1517 sei ein Anlass, „mit mehr Klarheit und Nachdruck unsere Einheit in Christus vor der Welt zu bezeugen.“ Das sagte der ehemalige Vorsitzende des Lutherischen Weltbundes, Christian Krause, bei einer Begegnung mit Franziskus am Freitag im Vatikan. „Wir möchten das gern gemeinsam mit Ihnen im Zeichen der Liebe Gottes feiern“, sagte Krause weiter. Dies solle ein Zeichen für alle Christen weltweit sein. Der frühere Braunschweiger Landesbischof rief den Papst auf, „mit uns auf dem Weg zu bleiben, wie auch wir an Ihrer Seite bleiben“. (kna/rv)

Hören Sie hier den entscheidenden Auszug aus Krauses Rede  

Ökumene der Märtyrer

Klaus Mertes SJ

In seiner Enzyklika „Tertio Millennio Adveniente“ schreibt Johannes Paul II.: „Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die Gemeinschaft der Heiligen spricht mit lauterer Stimme als die Urheber der Spaltung.“ (Nr. 37) Wenn das so ist – und es ist ja so –, warum wird dann im Land der Reformation nur so leise darüber gesprochen, dass in demselben Land, „Gott unter den Getauften die Gemeinschaft unter dem höchsten Anspruch des mit dem Opfer des Lebens bezeugten Glaubens“ aufrecht erhielt (vgl. Ut unum sint, Nr. 84). Wie kann man auf 1517 zurückblicken, ohne sich den Blick durch 1944/45 verstellen zu lassen?

Kurze Erinnerung an das besonders markante Beispiel der Märtyrer-Gefährtenschaft von Alfred Delp SJ und Helmuth J. von Moltke: Gemeinsam standen sie am 10. Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof, der sie zum Tode verurteilte: da man ihnen nichts anderes nachweisen konnte als dies, dass sie miteinander im Kreisauer Kreis gesprochen hatten. Was die Gefährten aber am Prozessverlauf überraschte, war: Der Anklagepunkt wurde dahingehend präzisiert, dass sie als Christen miteinander über die Zukunft Deutschlands konferiert hatten. Seiner Frau Freya schreibt Moltke: „Und dann wird dein Wirt [„Wirt“ ist die übliche Selbstbezeichnung Moltkes in den Briefen an seine Frau] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das ist alles ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen –, sondern als Christ und als gar nichts anderes … Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist Dein Wirt ausersehen gewesen: All die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und er fügt in eindrucksvoller Souveränität hinzu: „Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a. gemacht haben, und was b. sich lohnt.“

Das Jubiläum 2017 wäre eigentlich ein Anlass, diese beiden Texte radikal ernst zu nehmen. Eine „gewaltige Aufgabe“ entdeckt Moltke. Es ist nicht mehr die Aufgabe, Deutschland nach dem Krieg wieder aufzubauen, sondern die noch größere, die Konfessionsgrenzen durch das Martyrium zu überschreiten, letztlich also: Die Kirche neu aufzubauen. Dazu sieht er sich rückblickend „ausersehen“. Das ist biblischer Sprachstil, „passivum divinum“. Moltke, der mit seinen Gefährten in der Gefangenschaft intensiv die Bibel gelesen hat, kennt die Sprache der Bibel. Er deutet sein Todesurteil geschichtstheologisch: Gott handelt in diesem Prozess selbst. Er hat Moltke „ausersehen“. Er gibt den ganzen Jahren vorher bis hin zum Prozess„nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“ Und dieser Sinn heißt: Ökumene. Für Moltke „lohnt“ es sich, dafür zu sterben. Das ist der innere Friede, die „ignatianische“ Tröstung im Heiligen Geist, welche die theologische Erkenntnis Moltkes bestätigt.

Glauben wir als Katholiken und Protestanten heute das, was Moltke da sagt? Wenn wir es glauben, dann hat das Konsequenzen. Dann ist das, was am 31.10.1517 in Wittenberg seinen sichtbaren Ausgang nahm, am 10.1.1945 in Berlin schon von Gott her überwunden worden. Wie kann man dann stehen bleiben und nicht eilends Schritte auf die volle Communio hinmachen wollen? Die Ökumene der Märtyrer jedenfalls ist die eigentliche theologische Herausforderung an die Christenheit heute.

Zuerst publiziert in  in Jesuiten 2/2014