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Am 23.1.1945 und dann am 2.2.1945 wurden dreizehn Mitglieder des Widerstandes gegen das Hitlerregime ermordet, unter ihnen der Anführer des Kreisauer Kreises, Helmuth James von Moltke. Und der Jesuit P Alfred Delp. Ihr Gedenken begingen wir mit einem Festgottesdienst in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum am Heckerdamm. Dieser wurde u.a. mit musikalischen Einlagen des Jazzmusikers, unseres ehemaligen Schülers, Ulrich Kempendorff gestaltet.
Am 28.1.2010 berichtete die Berliner Morgenpost als erste Tageszeitung von den Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg. Vorangegangen aber war der entscheidende, mutige Schritt mehrerer Betroffener, sich nach wiederholter Erfahrung von Ablehnung nochmals dem damaligen Rektor P Klaus Mertes zu offenbaren. Mertes hatte aus dem Gespräch geschlossen, dass es eine große Zahl Betroffener geben müsste und einen Brief an alle Jahrgänge geschrieben. Das Ausmaß der Übergriffe, die sich Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre am Canisius-Kolleg ereigneten, und des dadurch verursachten Leides bei den Betroffenen lässt uns heute noch sprachlos und erschüttert. Fünf Jahre sind seither vergangen und vieles ist passiert. Die Geschichte ist aber noch weit davon entfernt abgeschlossen zu sein. Dies gilt insbesondere für die Betroffenen: Manche schildern das Leid als „lebenslang“. Aber auch der Orden ist weit davon entfernt, ein Ende abzusehen, im Ringen darum, wie uns der Blick auf diese dunkle Seite unserer Geschichte verändern wird und verändern muss. Denn das haben wir über sexualisierte Gewalt gelernt: Es geht eben nicht nur um ein einzelne Täter, sondern auch um ein Umfeld, das diese Taten mit Wegsehen und Schweigen ermöglicht.
Unser Sprechen am Kolleg aber ist geprägt von sehr unterschiedlichen Perspektiven: Mitarbeiter und Jesuiten fühlen sich in unterschiedlicher Weise betroffen. Bei uns greifen zeitliche Perspektiven, die in der öffentlichen Wahrnehmung meist untergehen: Eben gingen am Canisius-Kolleg die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer in den Ruhestand, die gerade einmal angestellt wurden, als die Täter das Kolleg verlassen hatten. Die Mehrzahl unserer Schüler heute hat die Aufdeckung der Missbrauchsfälle 2010 nicht erlebt, als Pater Mertes SJ und unsere Schulleiterin Frau Hüdepohl die ganze Schulgemeinschaft in der Halle versammelte, um ihnen zu erklären, was „sexualisierte Gewalt“ bedeutet, welches Leid es auslöst, und sich den Fragen der Schüler zu stellen. Die Geschichte sexualisierter Gewalt am Canisius-Kolleg ist und bleibt Teil unserer Geschichte. Fünf Jahre nach der Aufdeckung stehen wir vor der pädagogischen Herausforderung, das Erinnern an unserem Kolleg auf eine angemessene Weise wach zu halten. Das kann erfahrungsgemäß nur gelingen, wenn die Jugendlichen die Relevanz für ihr eigenes Leben spüren. Eine solche Kultur des Erinnerns muss sich deshalb wesentlich von den Routinen öffentlichen Gedenkens unterscheiden.
Was macht es mit einer Gemeinschaft und mit einer Schule, wenn man mit dieser Vergangenheit konfrontiert wird? Ich bin allen dankbar, die uns geholfen haben, die tiefen, menschlichen Konflikte und die Prozesse der Trauer und des Zorns zu verstehen, die diese Entdeckung im Orden und in der Schule bis heute ausgelöst haben. Es ist schön, wenn die Süddeutsche Zeitung per Ferndiagnose über unsere Homepage feststellt, dass der Schulfriede wieder hergestellt ist. Und es stimmt auch: Gott sei Dank haben wir im Alltag Schulfriede. Der ist wichtig, wo es darum geht, heutigen Jugendlichen in ihrer Situation gerecht zu werden. Das darunter liegende Ringen aller Beteiligten um die eigene Identität mit dieser Geschichte aber werden wir nicht publizistisch ausschlachten.
Wohl lohnt es sich aber über die Barrieren zu sprechen, die jede Präventionsarbeit so wichtig und so anstrengend macht: Die Angst von Pädagogen und Eltern, selbst Ziel eines unberechtigten Vorwurfs sexualisierter Gewalt zu werden. Prävention bedeutet hier zunächst, Angst abzubauen und im Alltag zu zeigen, wie es weit im Vorfeld sexualisierter Gewalt und daher undramatisch zur pädagogischen Normalität werden kann, dass Kinder eigene Grenzen thematisieren und Erwachsene lernen, ihr Verhalten daraufhin in Frage zu stellen, ohne sich gleich grundlegend in Frage gestellt zu sehen. Diese Normalität im Sprechen über Grenzen zusammen mit klaren und eindeutigen Regeln professionellen Umgangs sind Bausteine, um die Strategien der Täter zu unterlaufen. Sie haben uns aber auch geholfen, grundlegender über unsere Rolle als Pädagogen, nachzudenken, über Schule als Lebensort für junge Menschen und über Wege, die Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Prävention gegen sexualisierte Gewalt löst schon in „normalen“ Schulen unter „normalen“ Umständen Prozesse aus, die schwierig genug zu handhaben sind. An unserem Kolleg erfolgte die Erarbeitung unter den Zeichen des Schocks und der schweren Identitätskonflikte einer Institution und einer Gemeinschaft, die einen Blick in den eigenen Abgrund tun getan hat. Liebes Kollegium, liebe Eltern und liebe Schüler, danke für die Loyalität und den Mut, mit der Sie alle unsere Geschichte und wichtige Schritte in die Zukunft mitgetragen haben. Ich danke auch den Menschen, die durch Ihren Schritt auf P Mertes und den Orden zu, die Aufarbeitung ermöglicht – und damit einen Prozess in Gang gebracht haben, der zu wichtigen Schritten geführt hat, um hoffentlich heute Kinder und Jugendliche besser zu schützen.
P. Tobias Zimmermann SJ, Rektor Canisius-Kolleg
Predigt von P. Tobias Zimmermann SJ zum Gedenken an die Frauen und Männer des Widerstandes gegen das Hitlerregime.