Abendmahl mit Schokoriegel: Klaus Mertes über seine Erfahrung mit Straßenexerzitien

Schokoriegel WunderBar

Klaus Mertes ist Jesuit. Er wurde bundesweit bekannt, als er vor 10 Jahren als Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin sexuellen Mißbrauch in der Institution bekannt machte. Heute ist er Rektor des Kollegs in St. Blasien.

In einem Interview mit dem ZEITmagazin erzählt er, wie er von Gegnern in der Kirche verleumdet wurde, und sich ausgegrenzt führlte. Er habe es beim Katholikentag nicht mehr über mich gebracht, zur großen Eucharistiefeier zu gehen.

ZEITmagazin: Was macht man als Kirchenmann, wenn einem das wichtigste Miteinander der Kirche, das Abendmahl, zuwider wird?

Mertes: Ich habe „Exerzitien auf der Straße“ gemacht, eine geistliche Übung, bei der man ohne Ziel rausgeht ins Freie: mittellos, planlos und offen für das, was einem begegnet. Um ein Mittagessen in der Obdachlosenküche zu bitten, das kostete echte Überwindung. Ich musste, biblisch gesprochen, meine Schuhe ausziehen: die Schuhe des Helfers, des Lehrers, der Überlegenheit und des Status. Und dann saß beim Essen ein Obdachloser neben mir, der sah, dass ich keinen Schokoriegel als Nachtisch habe. Er nahm seinen, brach ihn durch und gab mir die Hälfte. – Genau die Geste Jesu am Tisch mit den Jüngern. Und plötzlich hatte das Abendmahl wieder Sinn.

Klaus Mertes begleitet regelmäßig auch Exerzitien auf der Straße.

Sich weiter den Folgen des Mißbrauchs stellen

Am 28.1.2010 berichtete die Berliner Morgenpost als erste Tageszeitung von den Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg. Vorangegangen aber war der entscheidende, mutige Schritt mehrerer Betroffener, sich nach wiederholter Erfahrung von Ablehnung nochmals dem damaligen Rektor P. Klaus Mertes SJ zu offenbaren. Mertes hatte aus dem Gespräch geschlossen, dass es eine große Zahl Betroffener geben müsste und einen Brief an alle Jahrgänge geschrieben. Das Ausmaß der Übergriffe, die sich Ende der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre am Canisius-Kolleg ereigneten, und des dadurch verursachten Leides bei den Betroffenen lässt uns heute noch sprachlos und erschüttert. Fünf Jahre sind seither vergangen und vieles ist passiert. Die Geschichte ist aber noch weit davon entfernt abgeschlossen zu sein. Dies gilt insbesondere für die Betroffenen: Manche schildern das Leid als „lebenslang“.

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Theologische Überlegungen nach Exerzitien in Kreuzberg

Kottbusser Tor bei Nacht. Boris Niehaus. cc-by-sa https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kottbusser_Tor_Panorama.jpg

THEOLOGISCHE ÜBERLEGUNGEN
nach den Exerzitien in Kreuzberg (August 2001)

Klaus Mertes SJ

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Das Fundament der Exerzitien ist die Ausgangsfrage: „Was macht mich am meisten zornig? Was ärgert mich am meisten?“ Die Frage ist gestellt, um hinter dem Nein des Zornes dem Ja auf die Spur zu kommen, das ich ganz tief in meinem Leben bejahe, mehr vielleicht, als ich es selbst weiß. In dieser Ausgangsfrage, als Frage nach meinem Fundament gestellt, steckt eine Erinnerung an das Glaubenbekenntnis in der Taufe. „Theologische Überlegungen nach Exerzitien in Kreuzberg“ weiterlesen

Exerzitien zur Ökumene der Märtyrer, Berlin

vom 29. März − 1. April 2015

Vor 500 Jahren fand in Deutschland die Reformation statt. Vor 70 Jahren wurde die Trennung im Land der Reformation durch die „Ökumene der Märtyrer“ überwunden.

Ein Beispiel von mehreren: Der Vorsitzende des NS-Volksgerichtshofs Freisler verurteilte den Protestanten Helmuth James von Moltke und den Katholiken Alfred Delp SJ in einem gemeinsamen Urteil am 10. Januar 1945 zum Tod durch den Strang. Moltke schreibt zwei Tage nach dem Urteil an seine Frau Freya:

Helmuth James Graf von Moltke

… und dann wird dein Wirt [Moltke selbst] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft zu Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurchsteht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das alles ist ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen (…) – sondern als Christ und gar nichts anderes.

 

Und er fügt hinzu:

 Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist dein Wirt ausersehen gewesen: all die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzack-Kurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.

 

Alfred Delp

Die in Kreisau begonnene fruchtbare ökumenische Auseinandersetzung fand im Gefängnis in Tegel ihre Fortführung: Moltke und Delp verbrachten die letzten Monate ihres Lebens zusammen mit anderen Zelle an Zelle in ökumenischer Lese-, Bet- und Gesprächsgemeinschaft. Sie vereinbarten eine gemeinsame Schriftlesung, beteten mehrmals gemeinsam eine Novene (ein neuntägiges Gebet), sie nutzten die Hofgänge zu intensivem theologischen Austausch, der auch den mitangeklagten evangelischen Theologen Eugen Gerstenmaier und den Katholiken Fugger von Glött einschloss. Nicht zuletzt verband sie die geistliche Mitfeier des Abendmahls.

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