Franziskus zur Straße als Ort der Gegenwart Gottes

Papst Franziskus hat in seinem ersten apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium (Nr. 71) einige Sätze geschrieben, die sich wie eine Einladung zu Exerzitien auf der Straße lesen:

Papst Franziskus (Quelle: Wikimedia)Das neue Jerusalem, die heilige Stadt (vgl. Offb 21,2-4) ist das Ziel, zu dem die gesamte Menschheit unterwegs ist. Es ist interessant, dass die Offenbarung uns sagt, dass die Erfüllung der Menschheit und der Geschichte sich in einer Stadt verwirklicht. Wir müssen die Stadt von einer kontemplativen Sicht her, das heißt mit einem Blick des Glaubens erkennen, der jenen Gott entdeckt, der in ihren Häusern, auf ihren Straßen und auf ihren Plätzen wohnt. Die Gegenwart Gottes begleitet die aufrichtige Suche, die Einzelne und Gruppen vollziehen, um Halt und Sinn für ihr Leben zu finden. Er lebt unter den Bürgern und fördert die Solidarität, die Brüderlichkeit und das Verlangen nach dem Guten, nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Diese Gegenwart muss nicht hergestellt, sondern entdeckt, enthüllt werden. Gott verbirgt sich nicht vor denen, die ihn mit ehrlichem Herzen suchen, auch wenn sie das tastend, auf unsichere und weitschweifige Weise, tun.

Papst Franziskus: 15 Krankheiten der Kurie

Der geistliche Weg eines einzelnen Menschen oder einer Gemeinschaft beginnt oft mit einer Vergewisserung des gemeinsamen Anliegens (Evangelium Taufe Jesu, Exerzitienbuch Fundamentbetrachtung). Dann werden die Blockaden auf dem Weg der Befreiung deutlich (Versuchungsgeschichte Jesu) Diese Unfreiheiten zu sehen, um Befreiung zu bitten und davon Zeugnis zu geben (z.B. in einer Beichte), ist der dann meist folgende Schritt. Franziskus gibt unsäglich wie es die Wüstenväter/Müter oft getan haben, eine Hilfestellung diese Blockaden zu sehen

Die römische Kurie und der Leib Christi

Ansprache von Papst Franziskus anlässlich des Empfangs für die Leiter der römischen Kurie, 22.12.2014 in einer Arbeitsübersetzung

 „Du bist über den Cherubim, der Du den schlimmen Zustand der Erde umgewandelt hast, da Du wie wir geworden bist.” (hl. Athanasius, Psalmenerklärung)

 

Liebe Brüder,

zum Abschluss des Advent treffen wir uns zu den traditionellen Grüßen. In einigen Tagen werden wir die Freude haben, die Geburt unseres Herrn zu feiern; das Ereignis, bei dem Gott Mensch wird um die Menschen zu retten; die Offenbarung der Liebe Gottes, die sich nicht damit beschränkt, uns irgendwas zu geben oder eine Botschaft zu schicken oder einen Boten, sondern die sich selbst gibt; den Dienst Gottes, der unser Menschsein und unsere Sünden auf sich nimmt, um uns sein göttlichen Leben zu zeigen, seinen großen Dank und seine frei gegebene Vergebung.

Das ist die Begegnung mit Gott, der in Armut im Stall zu Bethlehem geboren wird, damit wir die Kraft der Demut erfahren. Tatsächlich, Weihnachten ist auch das Fest des Lichtes, das vom „auserwählten“ Volk nicht angenommen wurde, aber vom armen und einfachen Volk, das die Erlösung durch den Herrn erwartete.

Vor allem möchte ich Ihnen allen – Mitarbeitern, Brüdern und Schwestern, Vertretern des Papstes auf der ganzen Welt – und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr wünschen. Ich möchte Ihnen von Herzen danken, für Ihren täglichen Einsatz im Dienst für den Heiligen Stuhl, die katholische Kirche, der Ortskirchen und den Nachfolger Petri.

Wir sind Menschen und nicht Zahlen oder nur Namen, und deswegen bedanke ich mich im Besonderen bei denen, die im Laufe dieses Jahres ihren Dienst beendet haben, sei es weil sie die Altersgrenze erreicht haben oder weil sie eine andere Aufgabe übernommen haben oder auch weil sie in das Haus des Vaters gerufen wurden. Ich danke und denke auch an sie und ihre Familien.

Ich möchte gemeinsam mit Ihnen dem Herrn einen herzlichen und ehrlichen Dank für das Jahr darbringen, das zu Ende geht, für alles, was wir erlebt haben und für all das Gute, das Er großmütig durch den Dienst des Heiligen Stuhles erreichen wollte. Wir bitten Ihn demütig um Vergebung für all die von uns begangenen Verfehlungen „in Gedanken, Worten, Werken und Auslassungen.“

Und von dieser Bitte um Vergebung ausgehend ist es meine Absicht, dass diese unsere Begegnung und die Gedanken, die ich mit Ihnen teilen möchte, für uns alle zu einer echten Gewissenserforschung stützen und antreiben, um unsere Herzen für das Weihnachtsfest vorzubereiten.

Als ich über dieses Treffen nachdachte, kam mir das Bild der Kirche als mystischer Leib Jesu Christi in den Sinn. Dieser Ausdruck, wie Papst Pius XII. erklärt, „ergibt sich und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig darüber vorgebracht wird“ (Enzyklika Mystici Corporis Christi).

Der heilige Paulus schreibt dazu: „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus.“ (1 Kor 12:12)

In diesem Sinn erinnert uns das Zweite Vatikanische Konzil daran, dass „auch bei der Auferbauung des Leibes Christi (..) die Verschiedenheit der Glieder und der Aufgaben (waltet). Der eine Geist ist es, der seine vielfältigen Gaben gemäß seinem Reichtum und den Erfordernissen der Dienste zum Nutzen der Kirche austeilt (vgl. 1 Kor 12,1-11; Lumen Gentium 7).“ Daher gilt: „Christus und die Kirche bilden somit den „ganzen Christus“ – Christus totus – Die Kirche ist mit Christus eins.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, 789 und 795).

Wir können uns gut die römische Kurie als ein kleines Modell der Kirche vorzustellen, also wie einen „Leib“, der ernsthaft und täglich danach sucht, lebendiger zu sein, gesünder, harmonischer und mehr vereint in sich selbst und mit Christus.

Tatsächlich, die römische Kurie ist ein komplexer Corpus, er besteht aus vielen Dikasterien, Räten, Büros, Kommissionen und aus vielen Elementen, die alle verschiedene Aufgaben haben, aber zu einem wirksamen, konstruktiven, geordneten und beispielhaften Funktionieren koordiniert sind, trotz all der kulturellen, sprachlichen und nationalen Verschiedenheit ihrer Mitarbeiter (Evangelii Gaudium, 130-131).

Weil aber die Kurie ein dynamisches Wesen ist, kann sie nicht leben ohne sich zu ernähren und sich zu pflegen. Wie auch die Kirche als solche kann die Kurie nicht leben, ohne eine lebendige, persönliche, authentische und beharrliche Beziehung mit Christus zu haben (vgl Joh 14:4-5). Ein Mitglied der Kurie, der sich nicht täglich mit dieser Speise nährt, wird zu einem Bürokraten, einem Formalisten, Funktionalisten, einem bloßen Angestellten: ein Rebzweig, der trocknet und Stück für Stück stirbt und der weggeworfen wird. Das tägliche Gebet, die beständige Teilnahme an den Sakramenten, vor allem and er Eucharistiefeier und dem Sakrament der Versöhnung, die tägliche Berührung des Wortes Gottes und eine Spiritualität, die sich in gelebte Nächstenliebe übersetzt, sind die lebendige Nahrung für jeden von uns. Uns allen soll klar sein, dass wir ohne Ihn nichts tun können (Joh 15:8).

Als Folge nährt und bestärkt die lebendige Beziehung mit Gott auch die Gemeinschaft mit den Anderen, das heißt je mehr wir zutiefst mit Gott verbunden sind, desto mehr sind wir unter uns verbunden, denn der Heilige Geist vereint und der Geist des Bösen trennt.

Die Kurie ist gerufen, sich zu bessern, immer zu verbessern und in Gemeinschaft, Heiligkeit und Weisheit zu wachsen, um ihre Aufgabe ganz und gar erfüllen zu können (Pastor Bonus 1, CIC 369). Und wie jeder menschliche Körper ist sie auch Krankheiten ausgesetzt, der Erkrankung und der Fehlfunktion. Hier möchte ich einige dieser möglichen Krankheiten nennen, kuriale Krankheiten. Es sind die Krankheiten, die sich öfter in unserem Leben als Kurie finden. Es sind Krankheiten und Versuchungen, die unseren Dienst für den Herrn schwächen. Ich bin überzeugt, dass uns ein „Katalog“ dieser Krankheiten helfen kann – darin den Wüstenvätern folgend, die solche Kataloge erstellten – und davon möchten wir heute sprechen: Er helfe uns, uns für das Sakrament der Versöhnung vorzubereiten, das ein guter Schritt der Vorbereitung auf Weihnachten für uns alle ist.

Die 15 Krankheiten

1. Die Krankheit, sich „unsterblich“, „immun“ oder geradezu „unersetzlich“ zu fühlen, indem die nötigen und gewohnheitsmäßigen Kontrollen außer Acht gelassen werden. Eine Kurie, die sich selbst nicht kritisiert, die sich nicht erneuert, die nicht besser werden will, ist ein kranker Körper. Ein ganz normaler Besuch auf einem Friedhof kann uns helfen, die Namen vieler Personen zu sehen, von denen manche vielleicht dachten, dass sie unsterblich, unangreifbar und unersetzlich seien! Es ist die Krankheit des reichen Toren aus dem Evangelium, der glaubte, ewig zu leben (vgl. Lk 12:13-21), und derer, die sich zu Herren machen und sich allen überlegen fühlen statt im Dienste an allen. Sie rührt oft von der Sucht nach Macht und vom „Komplex der Erwählten“, vom Narzissmus, der leidenschaftlich das eigene Ebenbild betrachtet und nicht das Abbild Gottes, das sichtbar ist im Antlitz der anderen, vor allem der Schwächsten und Bedürftigsten (Evangelii Gaudium 197-201). Das Gegenmittel für diese Seuche ist die Gnade, sich als Sünder zu fühlen und von ganzem Herzen zu sagen: „Wir sind unnütze Diener; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“ (Lk 17,10).

2. Eine andere: Die Krankheit des „Marta-lismus“ [abgeleitet von der biblischen Figur der Marta], der übertriebenen Arbeitswut: das heißt die Krankheit derer, die sich in die Arbeit stürzen und dabei unausweichlich „den besseren Teil“ außer Acht lassen: zu den Füßen Jesu zu sitzen (vgl. Lk 10,38-42). Deshalb lud Jesus seine Jünger ein: „Ruht ein wenig aus“ (vgl. Mk 6,31), denn die nötige Ruhe zu vernachlässigen führt zu Stress und Aufregung. Die Ruhe für den, der seine Arbeit beendet hat ist nötig, geboten und ernst zu nehmen, indem man Zeit mit der Familie verbringt und die Feiertage als Zeiten der geistlichen und körperlichen Erholung respektiert; es gilt zu lernen, was Kohelet lehrt: „Ein jedes hat seine Zeit“ (Koh 3:1-5).

3. Es gibt auch die Krankheit der geistigen und geistlichen „Versteinerung“: Die Krankheit derer, die ein Herz aus Stein haben und „halsstarrig“ sind (Apg 7:51-60), die auf ihrem Weg die innere Ausgeglichenheit verlieren, die Lebendigkeit und den Wagemut, die sich hinter Papier verstecken und „Verwaltungsmaschinen“ werden statt „Menschen Gottes“ (Hebr 3:12). Es ist gefährlich, das menschliche Mitgefühl zu verlieren, das man braucht, um mit den Weinenden zu weinen und sich mit denen zu freuen, die froh sind! Es ist die Krankheit derer, die die „Gesinnung Jesu“ verlieren (Phil 2:5-11), denn ihr Herz verhärtet sich im Laufe der Zeit und wird unfähig, den himmlischen Vater und den Nächsten bedingungslos zu lieben (vgl. Mt 22:34-40). Christsein bedeutet genau das: „so gesinnt sein, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,5), demütig und freigiebig gesinnt, losgelöst und großzügig (Benedikt XVI, Generalaudienz 1. Juni 2005).

4. Die Krankheit der ausufernden Planung und des Funktionalismus. Wenn der Apostel alles haarklein plant und glaubt, dass mit einer perfekten Planung die Dinge effektiv vorangehen, dann wird er zu einem Buchhalter und Betriebswirt. Gute Vorbereitung ist notwendig, aber immer ohne der Versuchung zu erliegen, die Freiheit des Heiligen Geistes einschränken und steuern zu wollen; er bleibt immer größer, großzügiger als alles menschliche Planen (Joh 3:8). Man fällt in diese Krankheit, weil es „immer leichter und bequemer ist, den eigenen statischen und unveränderten Haltungen zu folgen. In Wirklichkeit ist die Kirche dem Heiligen Geist in dem Maß treu, in dem sie nicht beansprucht, ihn zu regulieren und zu zähmen … den Heiligen Geist zähmen! – Er ist Frische, Fantasie, Neuheit.“ (Papstpredigt 30. Nov 2014)

5. Die Krankheit der schlechten Absprache. Wenn die Mitglieder ihre Gemeinschaft miteinander verlieren und der Körper seine harmonische Funktion und sein Maß, dann wird er zu einem Orchester, das Krach macht, weil seine Mitglieder nicht zusammen spielen und keinen Gemeinschafts- und Mannschaftsgeist haben. Wenn der Fuß zum Arm sagt: „Ich brauche dich nicht“, oder die Hand zum Kopf: „Ich befehle“, erzeugt das Unbehagen und Skandal.

6. Es gibt auch die Krankheit des „geistlichen Alzheimer“, der Vergessenheit der Geschichte des Heils, der persönlichen Geschichte mit dem Herrn, der „ersten Liebe“ (Apg 2:4). Dabei handelt es sich um ein fortschreitendes Absenken der geistlichen Fähigkeiten, die früher oder später zu einer schweren Handicap des Menschen führen und ihn unfähig werden lassen, autonom zu handeln, und ihn so in einem Zustand völliger Abhängigkeit von den von ihm selbst geschaffenen Selbstbildern leben lassen. Das sehen wir bei denen, die die Erinnerung an ihre Begegnung mit dem Herrn verloren haben; bei denen, die nicht dem alttestamentlichen Sinn des Lebens haben; bei denen, die völlig von ihrer Gegenwart abhängen, von ihren Leidenschaften, Launen und Ideen; bei denen, die um sich herum Mauern und Gewohnheiten bauen und so immer mehr Sklaven der Götzen werden, die sie sich selbst geschaffen haben.

7. Die Krankheit der Rivalität und der Ruhmsucht (Evangelii Gaudium 95-96) – wenn das Äußere, die Farben der Kleidung und Zeichen der Ehre zum vorrangigen Lebensziel werden und man das Wort des heiligen Paulus vergisst: „Tut nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.“ (Phil 2:1-4). Es ist die Krankheit, die uns falsche Männer und Frauen sein und einen falschen „Mystizismus“ und einen falschen „Quietismus“ leben lässt. Paulus nennt sie „Feinde des Kreuzes Christi“, denn „ihr Ruhm besteht in ihrer Schande, Irdisches haben sie im Sinn“ (Phil 3:19).

8. Die Krankheit der schizophrenen Existenz. Es ist die Krankheit derer, die ein Doppelleben führen, Ergebnis der typischen Heuchelei des Mittelmaßes und einer fortschreitenden geistlichen Leere, die akademische Abschlüsse und Titel nicht befriedigen können. Eine Krankheit, die oft diejenigen trifft, die den pastoralen Dienst aufgeben haben und sich auf bürokratische Aufgaben beschränken; dabei verlieren sie den Kontakt mit der Realität, mit den konkreten Menschen. Sie schaffen eine Parallelwelt, in dem sie selber alles das ablegen, was sie andere streng beibringen, und beginnen, ein verborgenes und oft ausschweifendes Leben zu führen. Für diese äußerst schwere Krankheit ist die Bekehrung dringend und unverzichtbar (Lk 15:11-32).

9. Die Krankheit des Geschwätzes, des Gemurmels, des Tratschens. Von dieser Krankheit habe ich schon oft gesprochen, aber noch nicht genug. Es ist eine schwere Krankheit, die ganz einfach beginnt, manchmal nur durch zwei Gerüchtem, durch die man sich zum Herrn über jemand anderen macht und so zum „Sämann von Unkraut“ wird, wie Satan. In vielen Fällen ist das „kaltblütiger Mord“ am Ruf der eigenen Kollegen und Brüder. Es ist die Krankheit von feigen Menschen, die nicht den Mut haben, etwas direkt zu sagen und es deswegen hinter dem Rücken tun. Der hl. Paulus ermahnt uns: „Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid“ (Phil: 14.18). Brüder, hüten wir uns vor dem Terrorismus des Geschwätzes!

10. Die Krankheit der Vergötterung der Vorgesetzte: Das ist die Krankheit derer, die Oberen schmeicheln, weil sie hoffen, ihr Wohlwollen zu erhalten. Sie sind Opfer des Karrierismus und des Opportunismus, sie ehren die Menschen und nicht Gott (vgl. Mt 23:8-12). Es sind Menschen, die in ihrem Dienst einzig daran denken, was sie bekommen können, nicht, was sie geben müssen. Es sind Kleingeister, unglücklich und nur von ihrem eigenen fatalen Egoismus geleitet (vgl. Gal 5:16-25). Diese Krankheit könnte auch die Oberen treffen, wenn sie einige ihre Mitarbeiter umschmeicheln, um ihre Unterwerfung, Loyalität und psychische Abhängigkeit zu erhalten, aber im Ergebnis ist das echte Komplizenschaft.

11. Die Krankheit der Gleichgültigkeit gegenüber anderen. Wenn jeder nur an sich selbst denkt und die Ernsthaftigkeit und Wärme in seinen menschlichen Beziehungen verliert. Wenn der Fachmann sein Wissen nicht den weniger fachkundigen Kollegen zur Verfügung stellt. Wenn man etwas erfährt erhält und es für sich behält, statt es mit anderen zu teilen. Wenn man, aus Eifersucht oder Verschlagenheit, sich freut, jemanden fallen zu sehen, statt ihm aufzuhelfen und ihn zu ermutigen.

12. Da ist die Krankheit des Beerdigungsgesichtes: Das bedeutet Menschen, die mürrisch und finster drein blicken, die meinen, um ernsthaft sein zu können, ihr Gesicht mit Melancholie und Strenge anmalen zu müssen, und die die anderen, vor allem die Schwächeren, mit sturer Strenge, Härte und Arroganz behandeln. In Wirklichkeit ist diese theatralische Strenge ein steriler Pessimismus und ein Zeichen für Angst und Unsicherheit. Der Apostel muss sich bemühen, ein höflicher, gelassener, begeisterter und fröhlicher Mensch zu sein, der überall Freude schenkt. Ein von Gott erfülltes Herz ist ein glückliches Herz, das ausstrahlt und alle um sich herum mit Freude ansteckt: Das sieht man sofort! Lasst uns also nicht den Geist der Freude verlieren, voll Humor und Selbstironie; er macht uns liebenswert, auch in schwierigen Situationen. Wie gut tut uns eine gute Dosis gesunder Humor! Es tut gut, das Gebet des heiligen Thomas Morus zu sprechen [„… Herr, schenke mir Sinn für Humor. Gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.“]; ich selbst bete es täglich, es tut mir gut.

13. Die Krankheit des Sammelns. Das ist wenn der Apostel eine existenzielle Leere in seinem Herzen auffüllen will, indem er Dinge anfhäuft, nicht weil er sie braucht, sondern um sich sicher zu fühlen. Aber wir werden keine Dinge mitnehmen können, denn „das Leichentuch hat keine Taschen“, und alle unsere irdischen Schätze – und seien sie königlich – können niemals diese Leere füllen, im Gegenteil: Sie machen sie noch fordernder und tiefer. Zu solchen Menschen sagt der Herr: „Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. … So sei nun eifrig und tue Buße!“ (Offb 3,17-19) Das Angehäufte macht nur schwer und verlangsamt unausweichlich das Voranschreiten! Ich denke hierbei an eine Geschichte: Die spanischen Jesuiten beschrieben früher die Gesellschaft Jesu [also ihren Orden] als „leichte Kavallerie der Kirche“. Ich erinnere mich an einen Umzug eines jungen Jesuiten; als er seine vielen Habseligkeiten – Koffer, Bücher, Gegenstände und Geschenke – in einen Lastwagen lud, sagte ein alter Jesuit, der dabeistand und ihn beobachtete, ihm mit weisem Lächeln: „Das soll die ‚leichte Kavallerie der Kirche‘ sein?“. Unsere Umzüge sind Ausdruck dieser Krankheit.

14. Die Krankheit der geschlossenen Kreise – wo die Zugehörigkeit zum Grüppchen stärker wird als die zum Leib und, in manchen Fällen, zu Christus selbst. Auch diese Krankheit beginnt immer mit guten Absichten, aber mit der Zeit unterjocht sich die Mitglieder und wird ein Krebsgeschwür, das die Eintracht des Leibes bedroht und viel Übel verursacht – Anstoß, besonders für unsere geringsten Brüder. Die Selbstzerstörung oder der „Eigenbeschuss“ unserer Mitstreiter ist die heimtückischste Gefahr. Es ist das Böse, das von innen zuschlägt; und, wie Christus sagt: „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird“ (Lk 11,17).

15. Und die letzte: die des weltlichen Profits, der Zurschaustellung – wenn der Apostel seinen Dienst zu Macht umgestaltet und seine Macht zu einer Ware, um weltlichen Nutzen oder mehr Befugnisse zu erhalten. Es ist die Krankheit der Menschen, die unersättlich Befugnisse zu vervielfachen suchen und dafür imstande sind, zu verleumden, zu diffamieren und andere in Misskredit zu bringen, selbst in Zeitungen und Zeitschriften, natürlich um sich zur Schau zu stellen und sich als fähiger als die anderen zu präsentieren. Auch diese Krankheit schadet dem Leib sehr, denn sie bringt Menschen dazu, den Gebrauch jedes Mittels zu rechtfertigen, um ihr Ziel zu erreichen, oft im Namen der Gerechtigkeit und der Transparenz! Ich denke an einen Priester, der Journalisten anrief, um private und vertrauliche Dinge über seine Mitbrüder und Pfarrangehörige zu erzählen – und zu erfinden. Für ihn zählte nur, sich auf den Titelseiten zu sehen, denn so fühlte er sich „mächtig und interessant“ – aber er hat anderen und der Kirche sehr geschadet. Der Arme!

Abschluss der Ansprache

Liebe Brüder, diese Krankheiten und Versuchungen sind natürlich eine Gefahr für jeden Christen und jede Verwaltung, Gemeinschaft, Orden, Pfarrei und kirchliche Bewegung und können sowohl beim Einzelnen als auch in der Gemeinschaft vorkommen.

Ich muss klarstellen: Nur der Heilige Geist ist – die Seele des mystischen Leibes Christi, wie das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis sagt: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht“ – kann jede dieser Krankheiten heilen. Es ist der Heilige Geist, der jede echte Anstrengung zur Reinigung und jeden guten Willen zur Umkehr stützt. Er ist es, der uns verstehen lässt, dass jedes Glied sowohl an der Heiligung des Leibes wie auch an seiner Schwächung mitwirkt. Er ist es, der die Eintracht fördert [Papstpredigt am 30. Nov 2014]: „Ipse harmonia est [Er selbst ist die Eintracht]“, sagt der heilige Basilius. Der heilige Augustinus sagt uns: „Solange ein Teil zum Leib gehört, ist seine Heilung nicht vergebens; was hingegen abgeschnitten wurde, kann weder geheilt werden noch gesunden.“ (Augustinus, Predigt CXXXVII)

Die Heilung ist auch Ergebnis des Erkennens der Krankheit und der persönlichen und gemeinschaftlichen Entscheidung, sich heilen zu lassen und sich geduldig und mit Ausdauer der Behandlung zu unterziehen (Evangelii Gaudium, 25-33).

Wir sind also gerufen – in dieser weihnachtlichen Zeit wie auch immer in unserem Dienst und unsrem Leben – zu leben „von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut.“ (Eph 4:15-16)

Liebe Brüder,

einmal habe ich gelesen, dass Priester wie Flugzeuge seien: Man bemerkt sie nur, wenn sie abstürzen, auch wenn es so viele sind, die fliegen. Viele kritisieren sie und nur wenige beten für sie. Dieser Satz ist sympathisch aber auch sehr wahr, denn er zeigt die Wichtigkeit und die Zartheit unseres priesterlichen Dienstes; wie viel Schlechtes kann ein einziger Priester, der „abstürzt“, dem gesamten Körper der Kirche antun.

Um während dieser Tage, in denen wir uns auf die Beichte vorbereiten, nicht zu stürzen, bitten wir die Jungfrau Maria, Muttergottes und Mutter der Kirche, die Wunden der Sünde zu heilen, die ein jeder von uns auf seinem Herzen trägt, und die Kirche und die Kurie zu stützen, dass sie gesund und genesen sei, heilig und geheiligt, zum Lob ihres Sohnes und zu unserem Heil und dem der gesamten Welt. Bitten wir sie, uns die Kirche lieben zu lassen, wie Christus sie geliebt hat, ihr Sohn und unser Herr, und den Mut zu haben, uns als Sünder und seiner Barmherzigkeit Bedürftige zu erkennen und keine Angst zu haben, unsere Hände in ihre mütterlichen Hände zu legen.

Ich wünsche Ihnen allen gesegnete Weihnachten, Ihren Familien und Ihren Mitarbeitern. Und, bitte, vergessen Sie nicht für mich zu beten! Von ganzem Herzen: Danke!

(rv 21.12.2014 ord)

Quelle: http://de.radiovaticana.va/news/2014/12/23/die_papstansprache_an_die_kurie/1115831

 

https://www.youtube.com/watch?v=U7hEuTM7Sbs

 

Bischof Ulrich (Delegation der VELKD) + Papst Franziskus

Grußwort des Leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Landesbischof Gerhard Ulrich, an Papst Franziskus

18. Dezember 2014

Eure Heiligkeit,

im Namen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes grüße ich Sie herzlich. Es ist uns eine große Ehre und wir freuen uns sehr, dass Sie diese Begegnung möglich gemacht haben.

2017 – 50 – 15: Diese drei Zahlen haben wir Ihnen mitgebracht. Sie beschreiben unseren ökumenischen Weg.

2017 – wir gehen auf die 500. Wiederkehr der Reformation zu. Dies ist für uns lutherische Christinnen und Christen natürlich ein bedeutendes Ereignis, das wir gebührend reflektieren und dessen theologische Anstöße wir für die heutige Zeit fruchtbar machen wollen. Für Lutheraner auf der Weltebene wie auch in Deutschland ist dabei völlig klar, dass wir diesen Weg auf das Gedenkjahr 2017 hin nur zusammen mit der römisch-katholischen Kirche gehen können. Gerade weil vor 500 Jahren die historischen Ereignisse Martin Luther in Auseinandersetzungen und Konflikt mit seiner Kirche gebracht haben, an deren Ende gegenseitige Verletzungen, ja die Trennung standen, gerade weil dem so ist, wollen wir heute geschwisterlich bedenken, wie viel wir mittlerweile als gemeinsamen Glaubensschatz wiederentdeckt haben: hier ist meines Erachtens besonders das ‚solus Christus‘, und das ‚solo verbo‘ hervorzuheben, die im Zentrum lutherischen Denkens stehen und über die heute eine große ökumenische Einigkeit herrscht. Anders kann ich, Eure Heiligkeit, Ihre jüngste Enzyklika gar nicht verstehen, die mit den Worten beginnt: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen“. Jesus Christus und das Wort des Evangeliums. So nahe sind wir beieinander.

Damit bin ich bei der Zahl 50: Genau 50 Jahre ist es her, dass das Ökumenismusdekret das Miteinander unserer Kirchen ermöglicht hat. Am Anfang des Dekrets heißt es: „Die Einheit aller Christen wiederherzustellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des … Zweiten Vatikanischen Konzils. Denn Christus der Herr hat eine einige und einzige Kirche gegründet.“ Diese Worte haben das Tor zum lutherisch-katholischen Dialog geöffnet. Dank des Konzils dürfen wir auf 5 Jahrzehnte der Weggemeinschaft zurückblicken.

Schließlich die15: Vor 15 Jahren haben die römisch-katholische Kirche und der Lutherische Weltbund die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unter- zeichnet. Unsere Kirchen konnten über eines der schwierigsten Themen, das Jahrhunderte den Gegensatz zwischen Katholiken und Lutheranern markierte, einen differenzierten Konsens herstellen. Völlig zu Recht hat Seine Heiligkeit, Papst Johannes Paul II., die Erklärung als „Meilenstein auf dem nicht leichten Weg der Wiederherstellung der vollen Einheit unten den Christen“ gewürdigt.

50 und 15: Auf diese beiden Zahlen baut auch das für unsere beiden Kirchen so gewichtige Dokument „Von Konflikt zur Gemeinschaft“ auf: Es würdigt die Früchte von 50 Jahren Dialog und arbeitet mit den theologischen Einsichten der Gemeinsamen Erklärung, die wir seit 15 Jahren teilen. Diese beiden Daten sind die Basis für den bilateralen Bericht und haben die Überlegungen zu einem gemeinsamen lutherisch- katholischen Reformationsgedenken möglich gemacht.

Unter dem Motto „2017 gemeinsam unterwegs“ haben wir Katholiken und Lutheraner in Deutschland uns in den letzten Monaten dem Wagnis gestellt, das internationale Dialogdokument im Internet diskutieren zu lassen. Noch nie haben wir zuvor einen Rezeptionsprozess von Anfang an ökumenisch vorbereitet und gestaltet. Wie groß das gewachsene Vertrauen zwischen unseren Kirchen mittlerweile ist, zeigt auch der besondere Umstand, dass Bischof Feige heute als Gast zu unserer Delegation gehört und dass heute Abend Bischof Feige und Landesbischof Manzke gemeinsam die Ergebnisse unseres Internetprojekts an Kardinal Koch und LWB-Generalsekretär Junge überreichen werden. Wir sind Kardinal Koch und Generalsekretär Junge dankbar, dass sie sich so intensiv dafür einsetzen, dass der LWB und Rom tatsächlich auf das Jahr 2017 hin gemeinsam unterwegs sind, des Jubiläums miteinander gedenken und die bereits erreichten Früchte feiern.

Doch dürfen wir nicht im Erreichten verharren, sondern wir beten und setzen uns für vertiefte Beziehungen ein. Ich persönlich bin ein großer Freund einer „wertschätzenden Erkundung“ in Sachen Ökumene – und ausgesprochen neugierig, welche weiteren wertvollen Früchte beim anderen noch zu entdecken sind. Dazu müssen wir uns aber aufmachen – zu dem anderen hin. Da hilft nicht die Haltung eines unbeteiligten Zuschauers, sondern allein die eines aktiven Erntehelfers. Als solche Erntehelfer sind wir zwar nicht blind für Hindernisse und Felsbrocken, die noch an die Seite zu räumen wären, damit wir zu einer sichtbaren Einheit kommen, vor allem aber sind wir hellwach für das, was Christus von seiner Kirche will.

Die Seligsprechung der Lübecker Märtyrer 2011 ist für mich so ein Beispiel: drei katholische Priester und ein lutherischer Pfarrer wurden 1943 durch das Naziregime hingerichtet. Die katholische Kirche hat bei der Seligsprechung auf Teile ihrer festen offiziellen Liturgie verzichtet, damit des evangelischen Bruders mitgedacht werden konnte. „Sag niemals drei, sag immer vier“, daran wurde immer festgehalten. Und dabei haben wir entdeckt: Es gibt eine Ökumenebewegung, die viel älter ist als 50 Jahre, die kein Konzil brauchte. Das ist die Ökumene des Widerstands. Eine Glaubensbewegung, die jene über die Konfessionsgrenzen hinweg stark und mutig gemacht hat, die nicht länger Unrecht und Völkermord hinnehmen wollten. Und solch eine Bewegung aller Konfessionen brauchen wir heute so dringend wie damals! Angesichts der Kriege und der Gewalt, angesichts von Terror, Völkermord und Vertreibung müssen wir deutlich die Stimme erheben und zwar gemeinsam! Jene, die vor Gewalt fliehen und ihre Heimat verlassen, erwarten zu Recht, dass wir uns einsetzen für sie, dass sie offene Türen und Herzen finden, dass wir Frieden und Wohlstand, Freiheit und Gemeinschaft mit ihnen teilen.

Mit solch einer Glaubenshaltung des aktiven Erntehelfers werden wir dann sicherlich auch weitere theologische Gemeinsamkeiten entdecken, selbst in dem, was uns bislang trennt. Und dies führt hoffentlich zu weiteren verbindlichen Schritte und Verein- barungen. Kardinal Koch hat an verschiedenen Stellen bereits eine Gemeinsame Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt ins Gespräch gebracht. Dies finde ich ein lohnenswertes Ziel. Die Zeit ist reif dafür, dass wir erneut und vertieft über unsere ekklesiologischen und amtstheologischen Unterschiede reden auf der Suche nach dem dahinterliegenden differenzierten Konsens. Warum könnte nicht 2017 der Startschuss für ein solches Projekt sein? Und erste Gehübungen sollten wir bereits jetzt machen. Wir als deutsche Lutheraner würden uns jedenfalls sehr freuen, wenn wir in Deutschland mit unseren römisch-katholischen Geschwistern mithelfen könnten, dieses Projekt anzustoßen.

50 Jahre gemeinsamer Dialog, 15 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungs- lehre, 2017 als gemeinsam gefeiertes Christusfest. Möge Gott uns seinen Geist und seine Führung schenken, dass neben diesen dreien bald weitere Zahlen die Früchte unseres gemeinsamen Wegs symbolisieren können.

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Papst Franziskus: Ansprache an die Delegation der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) am 18.12.2014 im Vatikan:

Exzellenzen, sehr geehrte Herren,

ich begrüße Sie herzlich und danke Bischof Ulrich für seine Worte, die ein klares Zeugnis seines ökumenischen Engagements sind. Ich grüße auch die anderen Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands und der Ökumenischen Kommission der deutschen Bischofskonferenz, die zu einem ökumenischen Besuch in Rom weilen.

Der offizielle Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken kann heute auf fast fünfzig Jahre intensiver Arbeit zurückblicken. Der beachtliche Fortschritt, der mit Gottes Hilfe erreicht wurde, ist eine solide Grundlage für eine echte, im Glauben und in der Spiritualität gelebte Freundschaft. Ungeachtet der theologischen Differenzen, die in verschiedenen Glaubensfragen noch bestehen, ist das Leben unserer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die heute einen gemeinsamen ökumenischen Weg beschreiten, von Zusammenarbeit und geschwisterlichem Miteinander gekennzeichnet. Wie der heilige Johannes Paul II. in der Enzyklika Ut unum sint betont hat, ist die ökumenische Verantwortung der katholischen Kirche nämlich eine wesentliche Aufgabe der Kirche selbst, die von der Einheit des Dreieinen Gottes zusammengerufen und auf sie hin ausgerichtet ist. Einvernehmlich erstellte Texte wie die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ des Lutherischen Weltbundes und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, die vor fünfzehn Jahren in Augsburg offiziell unterzeichnet wurde, sind wichtige Meilensteine, die erlauben, den eingeschlagenen Weg zuversichtlich fortzusetzen.

Das gemeinsame Ziel der vollen und sichtbaren Einheit der Christen scheint bisweilen in die Ferne zu rücken, wenn im Dialog selbst unterschiedliche Interpretationen dessen auftreten, was die Kirche und was ihre Einheit ist. Trotz dieser noch offenen Fragen dürfen wir nicht aufgeben, sondern müssen uns vielmehr auf den nächsten möglichen Schritt konzentrieren. Vergessen wir nicht, dass wir gemeinsam einen Weg der Freundschaft, der gegenseitigen Achtung und der theologischen Forschung gehen, einen Weg, der uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Eben darum wurden am vergangenen 21. November die Glocken aller Kathedralen in Deutschland geläutet, um an allen Orten die christlichen Brüder und Schwestern zu einem gemeinsamen Gottesdienst anlässlich des fünfzigsten Jahrestags der Verkündigung des Konzilsdekrets Unitatis redintergratio einzuladen.

Ich freue mich, dass die Kommission für den bilateralen Dialog zwischen der deutschen Bischofskonferenz und der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands im Begriff ist, ihre Arbeit über das Thema „Gott und die Würde des Menschen“ abzuschließen. Von größter Aktualität sind die Fragen, welche die Würde der menschlichen Person am Anfang und am Ende ihres Lebens betreffen, wie auch jene zur Familie, zur Ehe und zur Sexualität – Fragen, die nicht übergangen oder vernachlässigt werden dürfen, nur weil man den bisher erreichten ökumenischen Konsens nicht aufs Spiel setzen will. Es wäre sehr schade, wenn es angesichts dieser wichtigen, mit dem menschlichen Dasein verknüpften Fragen zu neuen konfessionellen Differenzen kommen würde.

Der ökumenische Dialog kann heute nicht mehr von der Realität und dem Leben unserer Kirchen getrennt werden. Im Jahr 2017 gedenken lutherische und katholische Christen gemeinsam des fünhundertsten Jahrestags der Reformation. Aus diesem Anlass werden Lutheraner und Katholiken zum ersten Mal die Möglichkeit haben, weltweit ein und dasselbe ökumenische Gedenken zu halten, nicht in Form einer triumphalistischen Feier, sondern als Bekenntnis unseres gemeinsamen Glaubens an den Dreieinen Gott. Im Mittelpunkt dieses Ereignisses werden also neben der Freude, miteinander einen ökumenischen Weg zu gehen, das gemeinsame Gebet und die innige Bitte an unseren Herrn Jesus Christus um Vergebung für die wechselseitige Schuld stehen. Darauf nimmt das von der lutherisch-katholischen Kommission für die Einheit erstellte und im vergangenen Jahr veröffentlichte Dokument unter dem Titel „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ bedeutungsvoll Bezug. Möge dieses Reformationsgedenken uns alle ermutigen, mit Gottes Hilfe und mit der Unterstützung durch seinen Geist weitere Schritte zur Einheit zu vollziehen und uns nicht einfach auf das zu beschränken, was wir bereits erreicht haben.

In der Hoffnung, dass Ihr Besuch dazu beiträgt, die gute Zusammenarbeit zu stärken, die zwischen Lutheranern und Katholiken in Deutschland und in der Welt besteht, rufe ich von Herzen den Segen des Herrn auf Sie und auf Ihre Gemeinschaften herab.

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