Lass ihn kreuzigen! – in Clausnitz, Bautzen und anderswo

Am vergangenen Sonntag habe ich die Matthäuspassion live gehört. Gleichzeitig wurde in drei Bundesländern gewählt. In der Pause des Konzerts kamen die ersten Hochrechnungen herein. Und während in meinen Gedanken die Nachricht von den erschreckend hohen Wahlergebnisse der AfD ihre Kreise zog, hörte ich das „Lasst ihn kreuzigen!“ in der Matthäus Passion.

Da wurde mir klar, was die damalige Menge vor dem Palast der Pilatus mit den heutigen AfD- und Pegida-Anhängern verbindet. Der Schlüssel zum Verständnis ist Jesus als die Verkörperung der Nächstenliebe. Nicht obwohl, sondern weil Jesus die reine Liebe war, musste er in den Augen der Menge sterben.

Ein Blick auf Pegida-Anhänger macht das deutlich: Ihr größtes Feindbild sind die „Gutmenschen“. Ihr Bedürfnis: „Man wird ja noch mal sagen dürfen…“. Nichts ist ihnen wichtiger, als auch mal „politisch unkorrekt“ Menschenfeindlichkeit und Hass in die Welt hinausposaunen zu können. Nichts macht sie rasender als die tätige Nächstenliebe der vielen Menschen, die Geflüchteten helfen. Und AfD-Chef Alexander Gauland meint gar, man dürfe sich von Kinderaugen (der Flüchtlingskinder) nicht erpressen lassen.

Auf der Balkanroute

Wessen Herz voller Hass ist, der kann Kinderaugen nur noch als Erpressung wahrnehmen – und nicht als Anruf an das eigene Herz, mit Liebe zu antworten.

Jesus musste sterben, weil er die Liebe war – und weil seine Liebe uns Menschen angerufen hat, mit Liebe zu antworten.

Liebesunfähigkeit ist die menschliche Sünde, derentwegen Jesus sterben musste. Weil die Menschen damals Jesu Liebe nicht aushielten, schrien sie ihr „Kreuzige!“. Und aus Liebesunfähigkeit ziehen sie heute vor die Flüchtlingsunterkünfte, in Clausnitz, Bautzen und anderswo.

Wo stehen wir in diesem Geschehen?

Rückführungen – Ausweisungen

Alte rassistische Erinnerungen aus der dunkelsten Zeit unseres Volkes werden bei den Rückführungen in scheinbar „sichere Herkunftsländer“ wach, hier die Ausrottung der Zigeuner/Roma. Oft zu unserm direkten Nachteil:

Liebe Freunde, 
ich schreibe euch, weil die Ausreise einer wunderbaren Roma-Familie, die ich hier kennen lernen durfte, nun unmittelbar bevorsteht. Alle Versuche, ihnen eine Chance in unserem Land zu geben, sind gescheitert. Der Antrag beim Petitionsausschuss des Landes Rheinland-Pfalz wurde abgelehnt, obwohl 2 Monate zuvor ein identischer "Fall" aus Speicher noch positiv beschieden wurde. In der jetzigen Situation gibt es für Menschen vom Balkan bei uns keinen Platz mehr, da können sie noch so gut integriert sein und Deutsch sprechen wie diese Familie (die älteste Tochter, 10 Jahre alt, 4.Grundschulklasse, spricht 4 Sprachen und kann nach Aussage ihrer Lehrerin besser Deutsch als manche deutschen Kinder). Der Mann hat ein Arbeitsplatz- und zwei Ausbildungsplatzangebote und leistet bis zum heutigen Tag regelmäßig freiwillige gemeinnützige Arbeit für die VG Prüm. Er würde sehr gerne in unserem ländlichen Raum bleiben und damit den viel beschworenen Nachwuchs sichern helfen, stattdessen wird er jetzt vor dem Winter mit 3 Kindern auf die Straße gesetzt.

90 000 Einwohner hat unser Eifelkreis, bis Ende des Jahres werden wir 1200 Flüchtlinge aufnehmen, da ist für diese Familie, für die sich so viele eingesetzt haben und die in der Lage wäre, für sich selbst zu sorgen, kein Platz mehr. Das ist Herbergssuche 2015! Die Familie hat mittlerweile unterschrieben, dass sie nach Ablehnung all ihrer Anträge unser Land freiwillig verlassen wird und wir mussten in der letzten Woche bei der Kreisverwaltung darum betteln, dass sie in ein Balkanland ihrer Wahl ausreisen dürfen - nämlich dahin, wo sie wenigstens noch entfernte Verwandte besitzen. Noch ist nicht klar, ob das gestattet wird, obwohl sie bis auf eins der Kinder gültige Pässe für dieses Land ihrer Wahl besitzen. Der Kinderpass müsste nur noch verlängert werden. Wie Verbrecher sollen sie außer Landes gebracht werden und dürfen nicht einmal mit einem Onkel reisen, der sie abholen würde. Das alles nur mit dem, was sie tragen können: Aminas Frisierpuppe und Ramadans kleiner Tischkicker werden hierbleiben müssen, ebenso Bettwäsche und Decken und die wenigen Dinge, die sie hier für den Haushalt angeschafft haben. Aus diesem Grund bemühen wir uns, ihnen einen halbwegs anständigen Abschied zu bereiten, neben unserer Freundschaft möchten wir ihnen etwas mitgeben, was sich gut transportieren lässt - nämlich Geld: Deshalb bitte ich um eine Spende auf folgendes Spendenkonto, das auf meinen Namen unter dem Stichwort "Samet" bei der Raiba Westeifel angelegt ist: IBAN: DE 26586619010225021708 BIC: GENODED1WSC.

Bitte habt Verständnis dafür, dass ich in diesem Zusammenhang auf diesem Wege alle Menschen anbettele, die sich in meinem Adressbuch befinden - auch die, die ich lange nicht gesehen habe und denen die Familie unbekannt ist. 

Beste Grüße und eine schöne Vorweihnachtszeit Martina Fröhlinger  

PS: Es gibt einen anonymen Spender, der jeden eingehenden Beitrag ab 10 Euro verdoppelt - es lohnt sich also!

 

 

Zwischen Menschlichkeit und Überforderung? Flüchtlinge in Deutschland

Andreas Fisch (Dortmund), ein Begleiter der Exerzitien auf der Straße, hielt und hält noch Vorträge:

  • 30. November 2015, 18:00 Uhr, Kommende Dortmund
    Die wachsende Spaltung in Arm und Reich. Ursachen und Lösungsansätze. Mehr hier
  • 7. Dezember 2015, 19:00 Uhr, Franziskus-Gymnasium Vossenack/Hürtgenwald
    Zwischen Menschlichkeit und Überforderung? Die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Mehr hier.
  • 20. Februar 2016, 14:00 Uhr, didacta – die Bildungsmesse, Köln
    Comics/Graphic Novels für junge Erwachsene im Unterricht. Von Flüchtlingen, Randgruppen und Religionen. Mehr hier.
  • 18. April 2016, Katholische Kirchengemeinde St. Nikolaus von Flüe, Dortmund
    Umverteilung geht anders – Wie sich die Spaltung in Arm und Reich überwinden lässt. Mehr hier.

 

Grenznah ignatianisch leben

Von Patrick Jutz

Die GCL (Gemeinschaft Christlichen Lebens) Italien hat ein einzigartiges Projekt organisiert.  Seit Juli 2015 leben immer mindestens drei Wochen jeweils sechs Freiwillige im Haus der Jesuiten in Ragusa. Man/Frau lebt und betet mit den Jesuiten und arbeitet tagsüber im Flüchtlingslager dieser sizilianischen Stadt am Mittelmeer.

Organisiert und geleitet wird das Flüchtlingsprojekt in Ragusa von GCLern aus Italien und Spanien, Freiwillige kommen aus vielen Ländern der Welt. In den ersten Monaten wollten viermal mehr Freiwillige das Projekt besuchen als Plätze vorhanden waren. Eingeladen sind alle Menschen mit ignatianischer Lebensweise und sie werden ermutigt, einmal vertrautes Terrain zu verlassen und an die Europagrenze zu gehen. Eine Grenze, die für viele Menschen auf der anderen Seite zum Tod führt und die von uns mit so vielen Mitteln verteidigt wird.

Mich erinnert dieses Projekt an das Leben von Mose. Der war auch Flüchtling, wurde in der Fremde aufgenommen und arbeitete als Viehhirte. Eines Tages geht er über die Steppe hinaus, übertritt also eine Grenze, die ein professioneller Hirte nicht überschreiten sollte, aber genau da begegnet er Gott – im brennenden Dornbusch. Dies wünsche ich mir, meine Professionalität ablegen können und Grenzen zu überschreiten, in der Hoffnung dann IHM begegnen zu dürfen.

Ingrid und ich werden im November auch dort sein. Seit zwei Jahren engagieren wir uns für Flüchtlinge in unserer Stadt Ettlingen. Als wir von diesem Projekt hörten, waren wir sofort begeistert. Die ignatianische Lebensweise zu vertiefen und sich den Flüchtlingsschicksalen zu stellen, fernab der Heimat, wie es uns schon viele vorgelebt haben, darauf freuen wir uns. Da mein Urlaub dafür nicht mehr ausgereicht hätte, habe ich einen Sabbat-Monat genommen.

Das Projekt ist bisher geplant bis Januar 2016, aber ich hoffe doch, dass dieses Mutmach-Projekt verlängert wird. Abhängen wird dies sicher auch davon, wie gut die Finanzierung gesichert ist. Immerhin wurden für die ersten sechs Monate ca. Eur 25.000 veranschlagt. Für eine bessere Betreuung des Projektes wird noch ein Auto auf Spendenbasis gesucht (Es wäre aber wichtig, dass ein neuer TÜV vorhanden ist und es technisch die lange Fahrt bis Sizilien mit hoher Wahrscheinlichkeit übersteht 😉
Wer also ein Auto für das Flüchtlingsprojekt spenden möchte, kann sich melden bei:
Patrick Jutz.

Wir bitten um Euer Gebet für unseren Einsatz und alle Menschen in Ragusa und in der Flüchtlingsarbeit weltweit.

Kirchenasyl: Die lebendigste Basisbewegung

Meine Straßenexerzitien haben mich – zufällig – zum Ausländeramt geführt. Menschen, klassifiziert nach Herkunft und Aufenthaltsstatus, wartend in den Korridoren.

Manche Menschen tauchen auf auf den Ämter und der Straße nicht auf – weil sie dort Gefahr laufen, aufgegriffen und abgeschoben zu werden. Wie die Flüchtlinge, die im Kirchenasyl Schutz gesucht haben.

Aktuell lodert dazu eine Debatte auf. Innenminister de Maiziere, Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags, hat die Kirchen scharf angegriffen. Bei einem Treffen mit katholischen Bischöfen sagte er „er lehne Kirchenasyl prinzipiell und fundamental ab“.

Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, hat dazu einen sehr guten Kommentar (LINK) geschrieben in dem es u.a. heisst:

Eigentlich sollten dem Gesetz nach auch hier „Härtefälle“ berücksichtigt werden. In der Praxis ist das nicht so. „Die Durchführung der gesetzlich vorgesehenen humanitären Einzelfallprüfung durch das Bundesamt ist nicht erkennbar“, sagt Stephan Theo Reichel, der im Auftrag der evangelisch-lutherischen Landeskirche seit 1. Oktober 2014 die Kirchenasyle in Bayern hauptamtlich koordiniert. „Vorgelegte Gutachten und Eingaben werden ignoriert, mit allen Mitteln werden Abschiebungen juristisch durchgesetzt.“ Er klagt über Abschiebungen „ohne Prüfung und Rücksichtnahme“ – „nach Bulgarien und Ungarn ins Gefängnis oder nach Italien auf die Straße“.
Das wollen immer mehr Kirchengemeinden verhindern: Sie wollen den Flüchtlingen geben, was der Staat des Grundgesetzes ihnen verweigert – Schutz und Hilfe in bedrohlicher Situation. „Die Hilfe für Flüchtlinge ist als Anliegen tief in vielen unserer Gemeinden verwurzelt. Und das ist auch gut so“, sagte Heinrich Bedford-Strohm der Süddeutschen Zeitung. Und: „Das Kirchenasyl bedroht weder das Recht noch taugt es zu einer Grundsatzdebatte.“
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sagte der SZ, dass er den Kirchengemeinden dankbar sei, „die sich um die Not von Flüchtlingen kümmern“. Die Gemeinden gingen in aller Regel sehr sorgfältig mit dem Kirchenasyl um. Und die Praxis der zurückliegenden Jahrzehnte zeige, „dass während eines solchen Kirchenasyls fast immer eine bessere und rechtsstaatlich einwandfreie Lösung gefunden werden kann“.

Und weiter heisst es da:

Die Kirchenasyl-Bewegung ist die lebendigste Basisbewegung, die es derzeit in den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland gibt. Seit 31 Jahren gibt es ein Kirchenasyl in Deutschland, vor 21 Jahren wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ von evangelischen und katholischen Christen gegründet.
In kaum einer anderen Frage sind Kirchengemeinden so engagiert, in keiner anderen Frage funktioniert Ökumene, die Zusammenarbeit zwischen evangelischen und katholischen Pfarreien so gut. Kirchenasyl ist für sie die Übersetzung des Evangeliums in die Gegenwart. Da steht im Matthäus-Evangelium das Jesus-Wort: „Ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt. Ich war verfolgt, und ihr habt mir Schutz gewährt“. Und: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.

 

Heribert Prantl
Heribert Prantl

 

Interreligiöses Friedensgebet

Mündigkeit bewahren und zu Verantwortung stehen

Als Gesellschaft wollen wir einander Rechte und Schutz gewähren, diese sind festgehalten in Gesetzen. Nun beobachten wir in letzter Zeit immer häufiger, dass die Gewährung und der Zugang zu diesen grundlegenden Rechten in Deutschland, Europa aber auch in anderen Staaten an private Unternehmen übergeben werden.

Altenheime und Krankenhäuser werden von Betreiberfirmen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt. Schutz und Hilfe bei Unfällen kommt immer öfter von privaten Dienstleistern.

Verwaltungen übergeben die Verantwortung für Gemeindezentren und Flüchtlingsunterkünfte und ersetzen sie durch Verträge mit Betreiberfirmen. Die Verantwortung für Flüchtlingsheime, Übergangsunterkünfte und auch das Abschiebegefängnis am Berliner Flughafen wurden und werden an Vertragspartner ausgelagert.

Grenzsicherung ist ein anderes Beispiel für dieses Vorgehen. — Weiterlesen