Barbara Bürger
Maria und Marta, zwei sehr unterschiedliche Frauen, zwei unterschiedliche Charaktertypen, und noch mehr: 2 unterschiedliche Seiten, die in einer Person sind, 2 Seiten, die auch in uns sind. Kennen Sie das, liebe Gemeinde?
Martha, die aktiv zupackende Seite in uns, die etwas schaffen und bewirken will. Wir wollen helfen und heilen, analysieren und gegen Ungerechtigkeit aufstehen, wir wollen für unseren Glauben eintreten.
Auch die älteren unter uns erlebe ich so, dass Sie trotz mancherlei Beschwerden im Alter bemüht sind, mit Hand anzulegen, hier in der Gemeinde oder im persönlichen Umfeld.
Die andere Seite, die Seite der Maria, ist meistens leiser.
Es gibt Momente oder Zeiten, da gehen wir nicht nach außen, sondern nach innen; wir tun nichts und wollen im Moment nichts, wir lassen alles los, was uns beschäftigt. Wir sind einfach da, wir spüren, dass wir da sind mit unserem Körper, unserem Atem, wir hören und lauschen. Wir nehmen mit Augen und Ohren einfach wahr, was ist und warten und hoffen auf Gott.
Zwei Seiten des Da-Seins, Ora et Labora haben die Benediktinerinnen hier im Kloster diese beiden Seiten des Menschen genannt. Bete (werde still und offen für Gott) und arbeite (wirke im Alltag), diese beiden Dinge ordneten das Leben der Ordensfrauen hier in Arendsee, die ihr Leben als Geschenk Gottes sahen und es ihm weihten.
Ich frage Sie: In welchem Verhältnis stehen Maria und Martha in Ihrem Leben?
Es gibt ja bestimmte Zeiten, die einen Rhythmus zwischen der Martha- und Mariaseite anzeigen:
Die Arbeitszeit und Urlaubszeit
Wochentage und Sonntage
Manchmal braucht es Stunden oder Tage, um aus der Marthaseite aussteigen zu können und wieder einfach da zu sein, zu lauschen, zu schauen, auf Gott zu warten, leer zu werden, um die Strahlen der Weisheit Gottes aufzunehmen (siehe Weltgebetstag)
Wie sind Sie, liebe Gemeinde, heute hier?
Eher als Martha, innerlich aktiv, mit dem Gedanken bei dem, was zu tun ist? Vielleicht noch mit dem beschäftigt, was wir als Probleme in Guyana und weltweit gehört haben und wofür wir gebetet haben? Oder sind sie eher hier als Maria, innerlich leer und offen, den Sonntag feiernd und wartend, was Gott ihnen schenken will?
Ich erinnere an das, was wir von Hiob gehört haben: Er hat Gott seine Not geklagt, immer wieder, er hat die Ungerechtigkeit und die Bosheit in der Welt vor Gott gebracht; er war ein Gottesstreiter, ein Kämpfer für Gottes Gerechtigkeit. Darin ist er der Martha gleich. Das Schlimme für Hiob ist, er sieht nichts mehr von Gott, er versteht nichts mehr. Und er verflucht den Tag seiner Geburt. Er ist am Ende. Dennoch hält er fest an Gott (obwohl seine Frau ihm rät, Gott zu verfluchen und seine Freunde ihm raten, die Schuld bei sich selbst zu sehen). Hiob jedoch harrt aus, in Zweifel und Ratlosigkeit wartet er auf Gott. Da ist er ganz der Maria gleich, er ist einfach da, leer und offen. Da kommt Gott ihm ganz nah, erzählt die Bibel, Hiob erlebt die Weisheit Gottes, seine Liebe. Bei uns, in unserer Zeit, ist die Seite der Maria oft im Hintergrund. Warum das so ist, darüber möchte ich an anderer Stelle mit ihnen nachdenken.
Heute möchte ich ihnen von mir erzählen, wie ich die Seite der Maria voller Verwunderung neu entdeckt habe. Im vergangenen Herbst hatte ich den Eindruck, dass bei mir über all dem Agieren und Tun, Organisieren und Veranstalten die Stille und das Gebet zu kurz kommen. Deshalb habe ich mich für eine Zeit der Einkehr entschlossen. Man nennt das Exerzitien, das sind Übungen, um leer und offen zu werden für Gott. Man kann diese Exerzitientage im Kloster halten, oder in einer Ordensgemeinschaft, wo man täglich auf die Straße geht.
Ich entschied mich für Letzteres und wohnte 10 Tage lang in der Wohngemeinschaft Naunynstrasse 60 in Berlin Kreuzberg. Das ist eine Wohn- und Lebensgemeinschaft von ca. 15 -20 Personen, es sind 3 Ordensbrüder der Jesuiten, einige Sozialarbeiter und Menschen, die gesellschaftlich diskriminiert sind und im Moment sonst keine Bleibe haben. Meine Möglichkeit war, dort 10 Tage lang Gast zu sein, d.h. nichts zu sollen oder zu müssen, zu planen oder zu tun, sondern meine Aufgabe war, einfach da und wach zu sein für Gott. Im Gebet, im Bibellesen und Meditieren und im Gehen auf der Straße wollte ich mich öffnen für Gott, Gott der und die mich in die Weite führt.
Zunächst ging ich zwei Tage lang auf den Straßen große Strecken zu Fuß. In mir war der Wunsch, in dieser Stadt dem Mauerfall nachzuspüren, vielleicht auch Erfahrungen der DDR-Zeit und auch den Spuren der NS-Zeit nachzugehen und für mich Klärung und neue Gottesbegegnung zu erleben. Und wirklich gab es viel zu sehen und für mich zu bedenken und zu verstehen(doch das ist eine andere Geschichte, die ich an anderer Stelle erzähle).
Am 2. Tag traf ich auf eine junge Frau, die Stadtrundfahrten verkaufte. Ich sagte ihr, dass ich neu auf der Suche nach Gott bin, ob sie mir helfen kann. Und ihre Rektion? „Das ist eine interessante Frage“, sagte sie. „Für mich ist Gott vor allem in der Natur, in allem Lebendigen“. Wir tauschten uns aus, schließlich sagte sie: „Ich verkaufe ihnen eine Fahrt zum halben Preis. Von oben diese Stadt zu sehen, führt vielleicht auch näher zu Gott.“ Also begann ich die Stadtrundfahrt und kam mit einer älteren Frau ins Gespräch, auch sie eine Christin, vielleicht sind wir uns ja auf dem Kirchentag begegnet? Sie erzählte, dass sie vor der Wende auf der Westseite der Stadt Stadtführungen gemacht hat, immer die Mauer vor Augen.
Als ich am Abend von meinen Erlebnissen erzählte, sagte einer der Bewohner zu mir: Du hast so viel gemacht und getan und so viele Orte besucht. Lässt du dich wirklich führen bei deinen Exerzitien?
Er bemerkte, es fällt auf, dass ich heute gleich zwei Stadtführerinnen begegnet bin, vielleicht ein Zeichen für mich, dass ja genug Führung für mich da ist. Da merkte ich, dass ich immer noch die Martha war, die plant und so viel machen will. —
Am nächsten Tag ließ ich den Stadtplan und alle Pläne im Kopf zu Hause. Es war Samstag, recht still auf den Straßen im Stadtviertel. Gott hier? dachte ich. Nach etwa 5 min sah ich vor mir einen Vater mit zwei Wagen, die er gleichzeitig schieben musste, was ihm aber nicht gelang, einen Kinderwagen und ein Dreirad mit Stange. Nur mühsam kam er vorwärts. Das schickt mir Gott, dachte ich, fragte den Mann, ob er Hilfe braucht, und so schoben wir die Kinder durchs Kiez, erkaufte noch Kekse und ich erzählte derweilen mit den Kindern. Auf dem Spielplatz verabschiedete ich mich – innerlich dankbar und auch etwas beschämt über meinen anfänglichen Kleinglauben.
Die nächste Überraschung war auf dem Oranienplatz, ganz in der Nähe, von weitem sah ich eine Menschengruppe stehen. Da waren zwei Straßenkünstler, die mit Kindern übten, Jonglieren mit Flowersticks und Hoolahoupreifen. Ich stellte mich dazu, eine ganze Weile stand ich einfach da und freute mich an den Kunststücken und dem Lachen der Kinder. („Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, sagt Jesus, könnt ihr nicht ins himmelreich kommen“) Ja, hier ist Gott.
Plötzlich kam ein Kind auf mich zu, hielt mir seine beiden Stöcke hin und sagte: „So, und jetzt du.“ „Aber ich kann das doch nicht.“ „ach, das ist ganz einfach, ich zeig es dir.“ Und schon war ich mitten drin in der Gruppe, und es spielte keine Rolle, dass die Stöcke bei mir dauernd runter fielen. Beim Verabschieden sagten die Kinder zum Leiter: Dann bis nächsten Sonnabend. Ich fragte den Mann, ob er hier immer herkommt. Ja, er komme hier sonnabends her, weil er Spaß dran hat und die Kinder weniger Unfug machen.
Bald waren wir mitten im Gespräch über das, was zählt im Leben. Er möchte Kindern eine bessere Kindheit ermöglichen, als er sie hatte mit seinem Vater, der Alkoholiker war. Ich erzählte von meiner Idee, mit Kindern Stücke zu üben und zwischendurch vom Leben der Kinder in Indien, Afrika und Südamerika zu erzählen. Am Ende gab mir der Mann 10 Flowersticks, die er selbst herstellt, nur zum Materialpreis wegen unserer gemeinsamen Vision, dass Kinder zu starken, fröhlichen und widerständigen Menschen heranwachsen können. Es war ein Tag voller Wunder geworden, Gott hatte mich angeschaut aus den Augen der Kinder und der Menschen, mit denen ich ins Gespräch gekommen war.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich möchte Sie ermutigen, wieder und wieder sich Zeit zu lassen für die Maria-Seite, die hörende und empfangende Seite in ihnen. Und ich möchte Ihnen Mut machen: Erzählen Sie davon, was sie erleben! Erzählen Sie es einem lieben Menschen und hier in der Gemeinde, damit wir zusammen Gott loben können. Amen
Ansprache zum Weltgebetstag 2008 in Arendsee/Sachsen-Anhalt