Ein junger Mann in Budapest war bereit, seine Schuhe mitten in der Stadt auszuziehen und ging auf einen Platz, an dem sich Ausländer trafen, die eine Arbeit suchten. Dort kamen auch die Menschen vorbei, die billige Tagelöhner suchten. Unfallversicherung und Steuer sollte nicht gezahlt werden. Alles musste im Geheimen geschehen. An diesen Ort ging der junge Mann und zog sich schon am Rand des Platzes seine Schuhe aus. Dann gesellte er sich unbehelligt zu der Gruppe der Arbeit(er)suchenden. Von ihm ging keine Gefahr aus, denn er war sicher kein Polizist, Staatsanwalt oder Richter, denn die kamen nicht barfüßig daher. Sie wurden über den Platz schon von Weitem bemerkt. Der junge Mann wollte sein Land aus einem neuen Blickwinkel sehen, die unverblümte Wirklichkeit und nicht eine Repräsentationsfolie, zusammengesetzt aus vielen Vorurteilen. Ja, er suchte vor allem nach dem Ort, wo ihm der auferstandene Jesus in seiner Stadt begegnen konnte oder wie er sie aus seiner Perspektive sehen konnte.
Voll Freude kehrte er abends nach Hause zurück. Er hatte an diesem Tag fünf Mal staunend seine Schuhe und vor allem seine Vorurteile ausgezogen und konnte sich und seine Mitmenschen z.B. in der Suppenküche als Geschwister erleben und sich darüber freuen.
Ebenso ging eine junge Frau in Deutschland an einen Drogenumschlagplatz in der Nähe einer U-Bahnstation ihrer Stadt. Sie mied diesen Ort sonst besonders wegen des Lärmes dort. An einem Tag der Besinnung, an dem sie ihren stressigen Alltag hinter sich lassen konnte, ging sie an diesen Treffpunkt der Menschen, die ihr so fremd waren. Sie zog die Schuhe ihres Herzens, ihren Hochmut, ihre Verurteilungen, ihre Distanz aus. Unglaublich, sonst fand sie Stille und Erquickung eher in Parks oder in Kirchen, jetzt hier in dem Trubel. Staunend blieb sie in Sichtweite stehen. Sie sah viel Schmerzhaftes im Umgang miteinander, aber dann auch ganz zärtliche Szenen, in denen Menschen achtsam mit denen umgingen, die in ihrem Rausch die Orientierung verloren hatten. Fast unbemerkt hatten sich die Schuhe der Frau geöffnet und sie standen jetzt sogar neben ihr. Eine Meditation, ganz verwurzelt in der Realität, hatte stattgefunden – mit den Füßen und dem Herzen gefühlt.
„Zieh die Schuhe aus!“ – diese Anweisung bekam Mose, als er sich neugierig einem brennenden Dornbusch in der Wüste näherte (2. Mose 3,5). In diesem Busch brannte ein Feuer, das die Zweige aber nicht verbrannte. So sah Mose mitten in den Dornen des Lebens die Liebe Gottes, die den Menschen erwärmt aber nicht verbrennt. Mose wurde in dieser Situation der Verletzlichkeit auf eine beiseite geschobene Wirklichkeit in seinem Leben hingewiesen: Sein Volk litt große Not und wartete unbewusst auf seine Befreiung. Gott wollte ihn nun als 80jährigen dafür in seinen Dienst nehmen.
Was magst du unter den Menschen bemerken, denen du gern aus dem Weg gehst? Keiner kann das Ergebnis voraussehen. Doch wenn wir uns auf dieses Abenteuer mit dem unter uns anwesenden Gott mitten unter den von uns Unbeachteten oder sogar Verdrängten einlassen, dann bekommt das Leben eine neue Kraft.
Jesus wiederholt die Anweisung „Zieht die Schuhe aus“, als er die Jünger „wie Schafe unter die Wölfe“ in die Orte sendet, in denen er in der nächsten Zeit predigen wollte. Dort sollen sie sich in die Familien einladen lassen und den Menschen den Frieden bringen. Wenn sie die fremden Häuser betreten, werden sie aus Respekt vor den Bewohnern ihre Schuhe ausziehen. Jesus sagt ihnen aber: Nehmt keine Schuhe mit (Lk 10,3f)! Der Besuch in den Häusern beginnt also schon hier und jetzt, höre ich.
Wann willst du in der Bereitschaft leben, die hochhackigen Schuhe des Hinuntersehens, die Turnschuhe für die schnelle Flucht, die dicken Stiefel, mit denen du zutreten kannst oder die bunten Schuhe der Eitelkeit abzulegen und neu für die erfühlte Wirklichkeit ansprechbar zu sein?