KNA-Redakteurin Barbara Just
München/Berlin (KNA) Das Unterwegssein ist Pater Stefan Dartmann gewohnt. Als Provinzial der bis Skandinavien reichenden Deutschen Jesuitenprovinz gehört es für ihn zum täglichen Geschäft, viel auf Reisen zu gehen. Doch die Erfahrungen, die der 50-Jährige jüngst in Berlin machte, waren etwas ganz anderes. Wenn er davon in seinem Münchner Büro erzählt, sprüht der Ordensmann nur so vor Lebendigkeit. Denn seine jährlichen Exerzitien im Geiste des Ordensgründers Ignatius von Loyola hat der Pater auf der Straße absolviert, und sich dabei auf die Suche nach Gott begeben.
Was sich im ersten Moment wie eine abenteuerliche Undercover-Recherche anhört, hat einen spirituellen Hintergrund. „Exerzitien auf der Straße“ heißt die von dem Berliner Jesuiten Christian Herwartz entwickelte Form der „Geistlichen Übungen“. Auf „nackten Sohlen“ sollen sich die Teilnehmer Gott nähern, wo er auf sie wartet; sei es in Hungernden, Fremden oder Obdachlosen. Dabei gelte es, die „Schuhe der Überheblichkeit“ und andere „Schuhe“ auszuziehen und so wie Moses vor dem brennenden Dornbusch, aus dem Gott spricht, zu stehen, erklärt der Provinzial. Unnötigen Ballast sollen die Teilnehmer abwerfen, um wieder Bodenhaftung zu gewinnen.
Zusammen mit fünf Männern und vier Frauen hatte sich Dartmann für eine Woche in der Pfarrei Sankt Michael im Stadtteil Kreuzberg einquartiert. Im Keller schliefen die Teilnehmer der Exerzitien in zwei Matratzenlagern, kochten und beteten zusammen; jeden Abend reflektierten sie das Erlebte. „Jeder Teilnehmer sucht sich sein Meditationsthema selbst“, erläutert der Pater. Da ihm Berlin anfangs immer als aggressiv begegne, „habe ich mich am ersten Tag für die Graffiti an den Häusern interessiert“. Darin werde die Zerrissenheit der Stadt am besten deutlich.
„Saubere Wände = höhere Mieten“, war da an einer Hauswand zu lesen, aber auch: „Gott am Arsch!“, „Lost soul“ oder die Sorge „Will I ever find love?“. Religiöses scheint die Leute zu bewegen, hat der Pater festgestellt. Doch nicht nur die Sprayer machten auf sich aufmerksam. Der neueste Harry-Potter-Film wird mit den Worten beworben: „Die Rebellion beginnt.“ Das dachte sich womöglich auch der Provinzial, als er bekleidet mit T-Shirt und Sporthose zum Prenzlauer Berg aufbrach. Als Frage hatte er sich zurecht gelegt: „Ich suche Gott, in welche Richtung würden Sie mich schicken, damit ich ihn finde und warum?“
Ein 60-Jähriger sah den Suchenden nur streng an und meinte: „Nach Hause und beten.“ Mit einer Irin, die den Kinderwagen vor sich herschob, entwickelte sich folgender Dialog: „Geh da zur Kirche.“ – „Die ist aber zu.“ – „Dann müssen Sie selber wissen.“ Ein 15-jähriges Mädchen meinte mit Überzeugung: „Dahin. Da scheint die Sonne.“ Manch einer der Befragten seufzte nur: „Ach Gott!“ und machte mit der Hand eine schnelle Bewegung vor der Stirn. Wer so fragt, muss spinnen. Zwei afrikanische Bauarbeiter dagegen hörten auf, ihr Pausenbrot zu essen und sagten: „Immer gerade aus. Du bist schon in der richtigen Richtung, wenn Du nichts Böses getan hast.“
Von Tag zu Tag wurde Dartmann mutiger. Irgendwann beherzigte er den ausdrücklichen Rat, kein Geld mehr mitzunehmen. Als er an einer Suppenküche vorbeikam, begann er das Gespräch vorsichtig und fragte erst einmal nach der Organisation. „Will’ste Essen?“, kam als Antwort zurück. „Dann setz‘ dich dahin.“ Während der Mahlzeit dachte Dartmann nur: „Hoffentlich kommt keiner vorbei, der mich kennt.“ Doch wer er ist, wollte von ihm niemand wissen.
Dann kam der Punkt, als der Provinzial mit sich kämpfte. Sollte er es wagen, eine katholische Einrichtung aufzusuchen, in die er öfters seriös mit Priesterkragen und Kreuz am Revers hineingeht? Er tat es, klingte und fragte höflich: „Ich bin ein Stadtpilger. Haben Sie etwas Brot und Wasser für mich?“ Aus der Sprechanlage tönte nur: „Nein, ich glaube nicht.“
Veröffentlicht von KNA Basisdienst am 1.08.2007