Nadine Gatzweiler (2013)
Straßenexerzitien in Duisburg-Marxloh und eine so persönliche, tiefe Antwort von Gott, dass ich einen kurzen Moment spüren durfte, ja, Gott sieht in mein Innerstes und versteht mehr davon, als ich es oft tue.
Angezogen hat mich bei meinem Tag auf der Straße eine Babyklappe. Als ich hinter dem Krankenhaus weiter gehen wollte, war da ein Zaun, es ging nicht weiter. Erst beim zurückgehen, fällt mir von Büschen geschützt, die Babyklappe auf und es trifft mich sehr, sie so real hier vor mir zu sehen.
Am nächsten Tag komme ich wieder, immer noch eher ratlos, was diese Babyklappe denn mit mir zu tun hat. Ich stehe eine Weile in der Nähe, will aber auch nicht, dass die vereinzelt auftauchenden Menschen falsche Schlüsse ziehen. Ich empfinde Mitleid für die Frau, die in einer solch schwierigen Situation steckt, dass sie ihr Baby abgeben muss. Ich gehe hinein ins Krankenhaus und sehe schon im Eingangsbereich ein Schild, wie die Babyklappe „funktioniert“. Dass es dort 32°C warm ist und schon wenige Sekunden, nach dem die Klappe geschlossen wird, in der Säuglingsstation der Alarm losgeht. Ich gehe zur Säuglingsstation, sitze im Flur zwischen Kreissaal und Neugeborenenstation, staune über das neue Leben und merke gleichzeitig, hier passe ich nicht so ganz hin. Man ist sehr aufmerksam, fragt mich mehrere Male, ob alles in Ordnung ist oder ob sie helfen können. Ich bin überzeugt, dass ein Säugling aus der Babyklappe hier gut versorgt ist, dass andere sich gut um es kümmern werden. Dennoch ist hier das Glück angesagt, die perfekte Familie, da passt „mein“ abgegebenes Baby gar nicht richtig rein. Es hat keinen leichten Start ins Leben, aber eine Mutter, die sehr viel in Kauf nahm um ihm das Leben zu schenken. Dennoch, das spüre ich, ist das nicht der Ort, der mir weiterhilft.
In der Nacht träume ich von einem Baby, das auf meinem Bauch liegt, und es motiviert mich, trotz meines Unverständnis, wieder an diesen Ort zurückzukehren, obwohl es wie aus Eimern regnet, und ich doch gar nicht weiß, was ich da soll. Ich sitze zunächst in der Eingangshalle des Krankenhauses und lasse mich trocknen. Als ich mich auf die Rückseite des Krankenhauses begebe, stelle ich mich in der Raucherzelle für die Angestellten des Krankenhauses unter. Zwei Krankenschwestern kommen und ein Satz bleibt bei mir hängen: „Das will ich selbst entscheiden!“. Ja, denke ich, ich will in meinem Leben auch selbst entscheiden, auch wenn ich mich oft so schwer tue damit, Dinge zu entscheiden. Dann zwei Männer der Verwaltung, die über banale Dinge plaudern. Ich nehme meinen Mut zusammen und frage nach der Babyklappe, ob denn dort schon mal ein Baby drin war – irgendwie ist es wichtig für mich, dass sie nicht einfach nur so da ist. Der Mann erzählt, dass schon zweimal ein Baby drin lag, und hat wider Erwarten sehr viel Verständnis für eine Mutter, die so etwas tut. Plötzlich empfinde ich eine große Bewunderung für diese Frau, die ihre Kräfte und ihre Situation so gut einschätzen kann, und sich selbst entscheidet und diesen großen Schritt geht und loslässt, in einem riesigen Vertrauen darauf, dass andere Menschen sich um ihr Kind kümmern werden. Nur so kann sie weitergehen und nur so kann ihr Kind wachsen und sich entwickeln. Die Männer gehen wieder hinein und ich wage mich näher ran und hinaus in den Regen. Und spätestens da verstehe ich Gottes Botschaft. Du, Gott bei dem ich loslassen darf – ich muss mich nicht für andere so sehr verantwortlich fühlen, denn Gott wird sich um sie kümmern, wie sich um das Baby in diesem Krankenhause gekümmert wird, ich muss nicht immer etwas tun und leisten, sondern bei Gott darf ich loslassen, darf einfach sein und vertrauen darauf, dass er für mich sorgt und für andere. Und so ziehe ich meine Schuhe aus, lasse den Regen und die Menschen, die vielleicht gucken und die großen Fragen in meinem Kopf los und staune über diesen Gott, der mir so kreativ und so ganz persönlich eine so klare Antwort auf mein Leben gibt.
Heute, ein halbes Jahr später, hat der Satz noch eine andere Bedeutung für mich bekommen. Bei Gott lasse ich los, stehe da mit meiner leeren Hand, heißt auch, dass ich dort frei werde von den Dingen, die mich so oft gefangen halten, dass ich einen Wert habe, ohne etwas zu haben oder festhalten zu müssen.