Simon Lochbrunner SJ (2013)
Auf der Suche bin ich mein ganzes Leben. Doch es gibt Zeiten, in denen mir das deutlicher ist als in gewöhnlich. Die Straßenexerzitien in Berlin vor sechs Jahren, waren eine solche Zeit. Es war ein goldener Oktober mit trockenen, kalten Tagen, in denen man gern die Straßenseite wechselt, um spürbar in den Genuss von wärmendem Sonnenlicht zu kommen. Die Gruppe bestand aus circa zwanzig Menschen. Die Tage über verbrachten wir auf Berlins Pflaster. Und übernachteten in den Kellerräumen der Sankt-Michaels Gemeinde.
Wenn ich daran zurückdenke kommen mir viele Bilder in den Sinn. Das Laub in der Oranienburger Straße. Einzelne Menschen wie der alte Mann am Ostbahnhof, der seine Jacke permanent nach Flöhen untersuchte. Eine Frau, die ich nach Gott fragte. Das Köpi. Der Tresor. Ein Pianist. Und vor allem Christians Frage: „Was suchst Du?“
Was ich gefunden habe ist ein Stück Freiheit. Freiheit, die aus der Erfahrung erwächst, dass es bereits sinnvoll sein kann, einfach nur da zu sein – so wie ich es für diese Tage in Berlin war. Die Freiheit, zu erkennen, dass „die Menschen auf der Straße“ gar nicht so weit weg sind von mir – beziehungsweise ich nicht von ihnen. Die Freiheit, meine Angst vor Fremdem ein Stück ablegen zu können. Und die Freiheit, Gott in jedem zu sehen, der buchstäblich meinen Weg kreuzt.
Seither bin ich auf vielen Straßen unterwegs gewesen. Als Wanderer. Als Jesuit. Und als Obdachloser. Ich weiß, dass ich das immer aus dem Bewusstsein heraus machen konnte, dass ich „im Notfall“ in ein „festes Haus“ zurück kann. Und ich weiß, dass mich das fundamental von vielen Obdachlosen trennt. Doch ich weiß auch, dass die Erfahrung des Ausgesetzt-Seins, der spürbaren Verletzlichkeit und einer ambivalenten Freiheit so wichtig ist, dass sie besser ad experimentum als gar nicht gemacht wird.
In meiner Arbeit mit als Jugendseelsorger habe ich immer wieder versucht, jungen Menschen Brücken zu solchen Erfahrungen zu bauen. Diese Aktionen zählen mit zu den besten, die ich in diesen drei Jahren erleben durfte. Als die Jugendlichen von sich aus letztes Jahr an Weihnachten mit der Idee aufkamen, in der Adventszeit ein Essen für die Menschen am Hamburger Hauptbahnhof zu organisieren – und es dann auch taten -, wurde mir klar, dass jedes auch noch so weit entfernte Ziel nur auf eine Art und Weise erreicht werden kann: Schritt für Schritt.
Die Exerzitien auf dem „Kreuzberg“ in Berlin waren ein wichtiger Schritt, für den ich sehr dankbar bin.