Martina Frölinger (2012)
Zu meinen Straßenexerzitien in Hamburg habe ich von zu Hause aus folgenden Kernausschnitt aus meinem Erleben und Verstehen zu erzählen: Im Laufe der Woche führte mich die Straße, die für mich ein Synonym für die Liebe Gottes geworden ist, ins Cafe Durchschnitt, der ältesten Selbsthilfeaktion psychisch kranker Menschen deutschlandweit (glaube ich). Bei meinen täglichen Besuchen dort bin ich übers Empfangen-werden und Zuhören im wahrsten Sinne des Wortes in meiner Einstellung gegenüber Menschen mit solchen Erkrankungen, aber auch gegenüber dem Leben und Gott „verrückt“ worden. Ein Teilnehmer hat meine Einladung angenommen und am Ende der Woche den Sonntagsgottesdienst in ihrer Pfarrei besucht. Im Anschluss daran habe ich mit ihm vor der Kirche auf der Treppe gesessen, weil er eine Zigarette rauchen wollte. Da kam eine sehr nette ältere Dame aus der Kirche und sagte ganz freundlich und offen zu uns: „Ihr sitzt ja da, wie die Bettler.“ In diesem Moment habe ich begriffen, was ich die ganze Woche über gemacht habe: Nämlich nichts anderes als offen neben ausgegrenzten und oft auch schon weg gesperrten Menschen gesessen und gewartet wie ein Bettler. Gewartet auf das, was sie zu erzählen und damit mir zu geben bereit waren und was Gott mir dadurch schenken wollte: Es war nicht weniger als die Liebe zu dem, was ich in mir selbst weg gesperrt hatte und was sich mir durch die Nähe zu den Kranken, denen ich begegnet bin, erschlossen hat. Das war eine so tief empfundene Erfahrung von „heil“ im Sinne von „ganz“ werden, dass ich mich nun voller Dankbarkeit und Vertrauen dieser Straße weiter überlassen will.
Ein Wochenende auf der Straße mit einer Baptistischen Gemeinde
Einige Stimmen aus dem Gemeindebrief: „Exerzitien auf der Straße“ – was ist denn das? Diese Frage kann ich nur ganz individuell beantworten:
Wir haben uns am Freitagabend mit Christian Herwartz getroffen. Christian hat schon in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen „Exerzitien auf der Straße“ angeboten. Exerzitien, das sind geistliche Übungen. Klingt komisch, ist aber so.
Für mich persönlich war schon der Beginn sehr spannend. Bei geistlichen Übungen, spirituellem Erleben wurde ich noch nie gefragt, worüber ich mich denn eigentlich ärgere. Dies war die Einstiegsfrage. Als wir uns über die persönlichen Ärgerpunkte austauschten, haben wir in einem zweiten Schritt geguckt, welche Sehnsucht hinter dem jeweiligen Ärger steht. Und auf Grund der Sehnsüchte haben wir versucht, ganz persönliche (sicher auch vorläufige) Gottesnamen zu formulieren. Diese begleiteten uns dann in ganz unterschiedlicher Weise am Samstag.
Am Samstag trafen wir uns um 10.00 Uhr in unseren Gemeinderäumen. Nach einem kurzen Einstieg machten wir uns einzeln auf den Weg, auf die Straßen Moabits oder auch anderenorts in Berlin. So unterschiedlich wie wir als Personen waren, so unterschiedlich waren auch die Erlebnisse, die jeder für sich so machte. Nach einem gemeinsamen Essen gab es dann viel Zeit, so dass jeder von seinen Erfahrungen berichten konnten. Mich hat es sehr berührt, den anderen zuzuhören und mich hat es ebenso berührt, wie mir zugehört wurde.
Ich würde es auf jeden Fall wieder machen, denn ich habe ganz tiefe Erfahrungen gemacht, die mein Leben und auch meine Sicht auf Moabit verändert haben. Wenn Ihr wissen wollt, was ich erlebt habe, dann sprecht mich doch einfach an. Ich erzähle es Euch gerne.