EST VITA

Sabine Hagendorfer (2007)

 

oder: Willkommen bei den Exerzitien auf der Straße in Berlin

Ich sitze im Zug auf dem Weg nach Wien und schaue zurück nach Berlin – auf die Tage der Exerzitien auf der Straße. Berlin, die Stadt, in der für mich „Mauern gefallen sind“ und ich „Neuland“ betreten habe.

„Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3, 5).

An so manchen Orten auf meinen Wegen habe ich die Schuhe neben mich gestellt – im Erspüren, dass da „der Dornbusch brennt“ – hier ein Ort der Begegnung für mich sein kann.

In den ersten Tagen meiner Exerzitien hatte ich noch meinen Rucksack mit dabei – für alle Fälle, mit Stadtplan, Wasserflasche, Ausweis, Geld, Tagbuch, Buntstiften,… im Laufe der Tage reduzierte sich „mein Gepäck“ auf den Schlüssel der Pfarrräume, die Telefonnummer von Christian Herwartz sj (für „Notfälle), mein kleines Kopftuch für die Sonne und meine Uhr – die in meinen Hosentaschen Platz fanden.

„Ich habe nichts dabei“ – und hatte doch alles, was für den Tag nötig war – und die Hände frei, um loszugehen.

Zu Beginn der Tage waren für mich Plätze, an denen Reste der Berliner Mauer stehen, wichtig – als Symbol der Mauern, Barrieren in mir – die mir die Sicht nehmen und Begegnungen erschweren. Im Gehen durch diese Tage „landete“ ich an immer kleineren Mauersteinen – bis diese an Bedeutung für mich verloren haben und ich merkte angekommen zu sein. Mit dem Namen Gottes: „Gott – der Mauern niederreißt“ habe ich mich anfangs auf den Weg gemacht – als weitere Namen kamen während der Exerzitien die Namen: „Gott, der neue Welten eröffnet“ und „Gott der Begegnung schenkt“ dazu.

So mancher Hinterhof lud mich ein, die „Hinterhöfe“ in mir zu betreten – ihre Schönheiten zu entdecken – die Buntheit – das was darin lebt.

Wie schon seit langer Zeit haben Träume während Exerzitien eine Bedeutung für mich – so auch in diesen Tagen. Darin wurde mir das Ziel eines Exerzitientages bewusst: Der Flughafen.

„Ich möchte auf die Besucherplattform“ – sagte ich dem aufsichtshabenden Beamten.

„Haben Sie ihre Eintrittskarte gelöst?“ – „Nein, ich habe „nichts dabei“ – aber ich möchte da hinauf.““Legen Sie ihre Tasche hier her (ich hatte an diesem Tag das letzte Mal meine Tasche mit), und räumen Sie diese aus.“ Nachdem sichergestellt war, dass ich nichts Gefährliches dabei hatte, war mir der Weg geöffnet – der Blick zu den ankommenden und abfliegenden Flugzeugen frei. „EST VITA“ – war die Botschaft dieses Tage – die auf dem Motor eines abfliegenden Flugzeuges mit großen Buchstaben zu lesen war. „Est vita“ – „das ist Leben“ – loslassen, etwas wagen – Neuland betreten.

„Mein Flugzeug“ führte mich in den kommenden Tagen in ein Land, das „ganz nahe vor der Haustüre liegt – und das mir trotzdem sehr fremd ist“ – In die „Türkei“.

Inmitten der muslimischen Frauen erlebte ich die Gastfreundschaft mir gegenüber und ihre Offenheit mich zum Freitagsgebet einzuladen. Mit der geschenkten Gebetsschnur im meinem Ruchsack fahre ich nach Wien – als Zeichen der Begegnung und der 99 Namen Gottes – als Zeichen einer mir „neuen Welt“ und dem ersten Schritt dorthinein.

Sabine Hagendorfer cs

Mit „leeren Händen“ bin ich losgefahren, mit einem „beschenkten Herzen“ fahre ich nach Hause und spüre die Sehnsucht nach Weite und der Offenheit für das, was mir im Alltag begegnen will, der Sehnsucht nach dem Leben – „est vita“.

 

Literatur:

* Christian Herwatz,SJ, Auf nackten Sohlen – Exerzitien auf der Straße.

Reihe: Ignatianische Impulse, erschienen 2006.

* Christoph Albrecht,SJ, Den Unterdrückten eine Stimme geben.

Das Lebenszeugnis von P.Luis Espinal SJ-

Impulse für eine prophetische Kirche in einer

ökonomisch globalisierten Apartheidgesellschaft.

Exodusverlag, 2. Auflage 2005.