Schwester Placida (2006)
Ich möchte von einer Begegnung berichten, die mich sehr berührt hat.
An einem Morgen setzte ich mich in Berlin Kreuzberg auf eine Bank,
um mein Brevier zu beten….
Ein Mann mit einer leeren Flasche fragt mich: „Wie spät…?“
„7.30 Uhr…“
„Lesen sie in der Bibel?“
„Ich bete.“
„Können sie mir etwas vorlesen, egal was.“
Er setzte sich zu mir auf die Bank, rückte ganz nah heran.
Ich begann:
Psalm 90 „Herr, wende dich uns doch endlich zu!
Hab Mitleid mit deinen Knechten!
Sättige uns am Morgen mit deiner Huld!
Dann wollen wir jubeln und uns freuen all unsere Tage.
Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast,
so viele Tage, wie wir Unglück erlitten.
Zeig deinen Knechten deine Taten und ihren Kindern deine erhabene Macht!
Es komme über uns die Güte des Herrn, unseres Gottes.
Lass das Werk unserer Hände gedeihen,
ja, lass gedeihen das Werk unserer Hände!
Ehre sei dem Vater, …“
Das Ehre sei dem Vater hat er mitgebetet.
Danach sprang er auf:
„Das hat gut getan!“
Er hat sich bedankt.
Ich habe ihn gefragt: „Wo kommen sie her?“
„Ich komme aus einem Sozialprojekt. Vorher habe ich auf der Straße gelebt. Ich werde wieder in die Kirche gehen. Als ich auf der Straße war, ging das nicht. Da war ich nicht sauber, manchmal sehr unansehnlich. Da konnte ich dort nicht hingehen.
Aber eins kann ich ihnen sagen. Als ich auf der Straße gelebt habe, war ich nie allein. Gott stand immer neben mir. Er hat dafür gesorgt, dass mir nichts passiert. Er hat mich beschützt und dafür gesorgt, dass ich immer zu essen hatte.
Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“
In der Lesung, die zum Morgengebet gehörte, konnte ich lesen:
„Darum schämt sich Gott ihrer nicht; er schämt sich nicht, ihr Gott genannt zu werden; denn er hat für sie eine Stadt vorbereitet.“