Maria Sinz (2006)
„Warum soll ich zur Erzählrunde kommen? Was man eine Woche in Stuttgart machen kann ist doch wohl in drei Sätzen zu sagen.“ Meint B. beim letzten Frühstück der Gäste in der Tagesstätte Olga 46. Sein Kaffee wird kalt, während er für seinen Kollegen Knöpfe an die Jacke näht. So blieben wir sechs Besucher bei unserer letzten Austauschrunde zu der wir offen eingeladen hatten unter uns und mit Frau S., die wundervoll zuhören kann.
Nun der Reihe nach in drei Gedanken, wenn auch nicht in drei Sätzen.
Ferien machen:
Wir Gäste kamen aus Wien, Freiburg, Tuttlingen, Aalen und Fribourg/Schweiz vom 27. Oktober bis zum 5.November nach Stuttgart um Ferien zu machen. Zugegeben, spezielle Ferien, nicht nur von der Arbeit, auch von der Familie, vom Konsum und vom „Ich“. Ferien, um respektvolles Sehen und Hören in Stuttgarts Straßen zu üben. (Exerzitien heißt Übungen).
Die Wirklichkeit mit anderen Augen sehen, ohne Termine, ohne Funktion, ohne Besichtigungen, ohne Kunde zu sein, und meistens ohne Straßenbahn.
Nach dem Frühstück und anschließender Meditation in der Magdalenenkapelle der benachbarten Leonhardskirche ging jede/r seine/ihre Wege. Um 17.00 trafen wir uns zu Gottesdienst, Abendessen und Erzählrunde. Wir hörten was die anderen den Tag über erlebt haben und was sie bewegt.
Gott suchen:
Beim oben erwähnten Frühstück beklagte sich I. dass von Gott meistens nur im Hinblick auf das Jenseits die Rede sei. Jenseits als „nach dem Tod“ verstanden. Nun, wir Leute der Straßenexerzitien suchen Gott im Leben. Diese Ferien dienen dazu, sich neu seinen Glauben klar zu machen. Wir könnten auch zuspitzen: was davon bleibt übrig unter dem Blickwinkel der Straße, jenseits von klassischen Kirchenhallen oder teuren Bildungshäusern und selbst außerhalb der Bibel? Oder: wie zeigt er sich vom Standpunkt der Straße aus? Christen glauben dass Gott bevorzugt unter den Armen wohnt. Dort wollten wir sie suchen. Ob wir ihn gefunden haben? Das müsste jede einzelne Besucherin, jeder einzelne Gast persönlich gefragt werden. Gott ist nicht pauschal zu haben, sie liebt die unscheinbaren Momente. Gemeinsam ist unserer( jüdisch-christlichen) Tradition, dass Gott im „Antlitz des Anderen“ aufscheinen kann. In der Begegnung auf Augenhöhe.
Vom Kopf in und auf die Füße:
„Von welchem Verein seid ihr? Die vom XXX wollen uns mit ihrem Essen für sich gewinnen.“ B. bleibt skeptisch.
Tatsächlich ist es schwer glaubhaft zu versichern, dass Christen sich auf die Beine machen um Gott zu suchen. Üblicherweise haben sie ihn, und das vor allem im Kopf. Die Übung besteht auch darin, unterwegs alle Vorstellungen loszulassen. Dies ist für alle , auch für die (Befreiungs)theologen unter uns jeden Tag eine Herausforderung. Den Boden unter den Füßen spüren: wo stehe ich ,jetzt, körperlich und geistig. Christian Herwatz,SJ, lehrte uns das Bild vom „Heiligen Boden“(Exodus 3,5) in den Straßen zu spüren: vor dem Gefängnis, auf der Parkbank, in der Tagesstätte, am Katharinenplatz, im Sperrbezirk, an der Gedenkstätte innerer Nordbahnhof….. Im abendlichen Erzählen sortieren sich Erlebnisse zu Erfahrungen. (Manche auch erst im Erzählen zu Hause, manche erst nach Wochen.) Christoph Albrecht, SJ, ist ein erfahrener Begleiter: „Wenn wir innerlich Befreiung zulassen können, wird dieser Prozess uns drängen unser Leben in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen, um der Gemeinschaft willen.“
So kommt schließlich auch die abendliche Eucharistie vom Kopf auf die Füße zu stehen: aus selbstvergessener Suche im Geheimnis wird Finden in den Armen mitten in Stuttgart.
Bleibt ein herzliches Danke zu sagen, besonders Johanna Renz und Team für die Gastfreundschaft, und Herrn Felker und der ev. Gemeinde St Leonhard für das morgendliche Verweilen dürfen in der Magdalenenkirche, auch das ist Gastfreundschaft.